Für Burak: "Die Weizsäckerisierung der Militanz oder die Banalität des Blöden“

CM auf FSK 93.0 Megahetz(e) - Monatliche Kolumne des Café Morgenland - Mai 2012

Für Burak

Die heutige Kolumne ist dem Andenken Buraks gewidmet. Er schaffte es in Deutschland gerade mal, 22 Jahre alt zu werden. Mehr war nicht drin. Burak wurde in der Nacht von 4. auf den 5. April, in Neukölln, auf offener Straße durch – laut Polizei – „Unbekannte“ erschossen, 2 Freunde von ihm wurden verletzt.

Die Gründe?
a) Es handelte sich um Kanaken,
b) es geschah in Neukölln, Deutschland,
c) es war fast auf dem Tag genau der 20. Jahrestag des Todes von Gerhard Kaindl, den Führer der Neonazi-Partei „Deutsche Liga für Volk und Heimat“. Kaindl starb nach einem MigrantInnen-Angriff in der Nacht zum 4. April 1992. Der Angriff wurde der MigrantInnen-Gruppe Antifaschist Genclik angelastet, was zu ihrer Zerschlagung führte. Kaindl gilt bis heute bei den Neonazis als Märtyrer,
d) es war Nacht.

Gewiss, alles eine Frage des Zufalls. Und wir, die Unbelehrbaren, beharren darauf, dass in Deutschland nichts dem Zufall überlassen wird, sondern wo immer es geht und wann immer es passt, der rassistische Mord gedacht, vorbereitet und durchgeführt wird. Spätestens seit den NSU-Morden weiß jedeR, dass weder Hakenkreuze am Tatort noch Bekennerschreiben erforderlich sind, um den Mord in seiner Dimension zu erkennen, weil die Tat für sich sprechen soll. Nicht zufällig haben wir in einer vorherige Kolumne gefordert, dass jeder Mord an Kanaken als rassistischer Mord zu benennen ist, bis zum Beweis des Gegenteils.

Hier aber? Das Schweigen hat wieder Konjunktur. Alle warten wiedermal – wie damals beim Brandanschlag in Lübeck, als 13 Flüchtlinge starben – auf die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft! Schon damals war das Vertrauen an den Staatsapparat grenzenlos. Hat sozusagen Tradition. Denn die seriöse deutsche Linke kann sich ihren guten Ruf nicht aufs Spiel setzen. Also lieber die offiziellen staatlichen Ergebnisse abwarten. Wir scheißen auf solche PC-mäßige Posen.

Da alles bereits mehrmals sogar gesagt wurde, wird heute ein 18 Jahre alter Text als Kolumne genommen, es ist leider immer noch aktuell. Gewiss, die Zeiten haben sich geändert, Deutschland aber, Deutschland ist sich treu geblieben.

"Die Weizsäckerisierung der Militanz oder die Banalität des Blöden“
Die Fakten: seit September letzten Jahres sitzen in Berlin fünf kurdische und türkische Personen in Berlin im Knast. Ihnen wird die gemeinschaftliche Tötung eines Naziführers vorgeworfen.
Der Hintergrund: Das wiedervereinigte Deutschland im vierten Jahr seines Bestehens. Seit der Wiedervereinigung sind über 65 Personen, vor allem MigrantInnen und Flüchtlinge von organisierten (Nazis) und unorganisierten RassistInnen umgebracht worden. Über 6000 "ausländerfeindliche Straftaten" wurden allein im letzten Jahr registriert.
Eine "Zivilgesellschaft", die mit oder ohne Kerzen immer enger zusammenrückt und droht, alle die sich nicht konform geben oder seit jeher als Fremde gelten in völkischen Exzessen zu ersticken.

Genügt diese kurze Szenenbeschreibung oder genügt sie nicht? Scheinbar tut sie's nicht.
Längst haben sich die Mehrheitsdeutschen, sofern sie diese Szenerie nicht sogar aktiv mitgestalten, an das etwas verschärfte Klima gewöhnt. Längst sind Meldungen über rassistische und faschistische Angriffe, solange sie ein Normalmaß nicht überschreiten (das ungefähr bei nicht mehr als einem Toten liegt, alle Arten der Körperverletzung mit inbegriffen, seelische Verstümmelungen werden nicht erfaßt) bestenfalls den Abendausgaben der Tageszeitungen zu entnehmen. Und vielleicht braucht man/frau Deutschen ja nicht mitzuteilen, wie sehr die deutsche Mehrheitsbevölkerung im Krieg gelitten hat, wie ungerecht die Alliierten waren. Vielleicht versteht sich das unter Deutschen ja von selbst. Vielleicht fällt auch die Sprache nicht auf, die sorgfältig zwischen Herren- und Untermenschen selektiert. Vielleicht fällt auch nicht auf wie selbstverständlich in Gesprächen über "uns (=Deutsche)", andere ausgeschlossen werden, so als ob sie nicht existierten. Selbstverständlich erleben Deutsche es nicht, daß sie sich über die Zustände hier im Land nicht beklagen sollten: Sie werden nicht aufgefordert, in ihre vermeintlichen Herkunftsländer zurückzugehen, wenn sie Kritik äußern, sie werden nicht auf die Zustände dort verwiesen, die eineN allemal das Recht einer Kritik der deutschen Verhältnisse entheben. Vielleicht ist es für Deutsche normal hier in ihrem Land mit zu entscheiden, wer hier und unter welchen Bedingungen leben darf. (Wir wollen in diesem Zusammenhang an einen Zeitungsartikel erinnern, aus der Frankfurter Rundschau vom 5.3.94: Dort wurde über ein Frauenstadtgespräch zum Thema "Demokratie - Ausgrenzung" referiert. Laut FR brachte eine Teilnehmerin der Veranstaltung das Dilemma der deutschen Frauenbewegung auf den Punkt: Ist sie bereit zu akzeptieren, daß ein Ausländer, der sich für Klitorisbeschneidungen ausspricht, die deutsche Staatsangehörigkeit erhält?) Vielleicht ist es genau so normal darüber zu entscheiden, wer hier was veröffentlichen darf (natürlich nur falls diese Person nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und einige weitere notwendige Attribute, d.h. christliche Sozialisation und weiße Haut mit sich bringt).

Dies ist nur ein kleiner Teil der Realität, wie sie sich uns manifestiert. Selbstverständlich ist das alles nicht neu, sicher erinnert man/frau sich. Es scheint dennoch immer wieder nötig, um vielleicht zumindest ein wenig zum Verständnis unserer Be- und Empfindlichkeiten beizutragen.

Nun sitzen also GenossInnen im Knast, die sich aus den gleichen Be- und Empfindlichkeiten heraus, der Selbstorganisation von MigrantInnen verschrieben haben. Aus diesem gemeinsamen Widerstand heraus ist ihnen unsere Solidarität gewiß.
Wir haben, wenn wir hier UNVERSEHRT überleben wollen keine Wahl. Der Kampf, den wir führen müssen, ist nicht nur Abwehrkampf. Wir kämpfen dafür, hier im Land der Deutschen unsere Existenz freier bestimmen zu können. Über mehr brauchen wir derzeit nicht zu reden. Bereits dies scheint zunächst pure Utopie.
Es ist absolut klar, daß die Inhaftierten ihre Prozeßstrategie selbst bestimmen müssen. Deswegen, aber natürlich auch weil wir zu den Vorwürfen selbst nichts wissen, werden wir uns dazu jetzt nicht äußern.

Dennoch wird uns die Diskussion aufgezwungen. So geschah es in Berlin bei Solidaritätsveranstaltungen, so geschah es auch bei der Veranstaltung im KOZ/Frankfurt. In dieser Diskussion gab es grob zwei Stränge. Der eine Strang ist das in der letzten Zeit nicht mehr gemeinsam diskutierte "Problem" der Selbstorganisation von MigrantInnen. Diese gilt nach wie vor zumindest unter großen Teilen der Linken als ein politischer Fehler zumal "WIR dadurch rassistische Sprech- und Denkweise reproduzieren"!!! Zitat: "Daran orientiert ist die Setzung des 'MigrantInnen-Wirs' eine Annahme der, von rassistisch denkenden Leuten vorgenommenen Definition von 'den Deutschen' und 'den Anderen'. Denn auch eine Wendung und Gegenbesetzung impliziert die Anerkennung der zugrunde liegenden Konstruktion.
...Zum anderen reproduzieren sie zum Zweck dieser Denunziation der Gewalt, die den - von ihnen beschriebenen - rassistischen Verhältnissen zugrunde liegenden Sprech- und Denkweise." (Lupus-Gruppe, Geschichte, Rassismus und das Boot, S. 137/138.).
Nach solchen Unterstellungen ist der Schritt zur "Liquidierung" von Nazis dann nur noch die logische Schlußfolgerung, indem wir auch noch ihre Handlungen reproduzieren, wie die Fragestellung in der Veranstaltung implizierte. Wobei auch diese Unterstellung nicht ganz neu ist.
Es ist nicht lange her als uns vorgeworfen wurde, "Wir wollen das deutsche Volk vernichten", weil wir das Existenzrecht dieses Landes in Frage stellen! (Autonome Alpträume oder die Banalität des Blöden?).

In diesem Zusammenhang scheint es nicht einmal notwendig, die frühere "gemeinsame" politische Praxis und den Prozeß der Trennung, die wir letztlich vollzogen haben, zu reflektieren.

Nach wie vor leugnet die Szene die politischen Gründe, die uns dazu gebracht haben, uns zumindest bis auf weiteres von einer gemeinsamen politischen Arbeit zu verabschieden. Während die politische Eigenständigkeit deutscher Frauen mittlerweile wenigstens hingenommen wird, wird unser Ansatz im Namen von eineinhalb Hauptwidersprüchen diskreditiert. Wir bleiben dabei: solange die deutsche Linke unsere politische Eigenständigkeit nicht respektiert, sehen wir keine Grundlage für eine gemeinsame Arbeit.

Der zweite Punkt hängt direkt mit ersterem zusammen: Wenn unsere politische Eigenständigkeit nicht als selbstverständlich gilt, ist es auch nicht nötig die politische Bestimmung unseres Kampfes ernst zu nehmen. Sollte die deutsche autonome/antifaschistische/ feministische oder wie auch immer Linke Probleme mit unserem Ansatz haben, so ist es absolut legitim, sich unter einem anderen Motto in Solidarität zu den Inhaftierten zu organisieren. Inwieweit sich dann beide Bewegungen auch gemeinsam verhalten oder sich zumindest aufeinander beziehen können, ist eine andere Sache.

Was wir allerdings nicht akzeptieren können, ist, daß mit der plumpen Rechtfertigung, daß man/frau sich gemeinsam organisieren müsse unsere Inhalte in Frage gestellt werden. Obwohl auch wir uns jedes mal vergewissern müssen, daß vieles - wenn auch nicht alles - in der unterschiedlichen Wahrnehmung der Realität, sich an der Frage der Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung festmacht, scheint sich dieser böse Verdacht immer wieder zu bestätigen.

Für uns ist die Frage der Gegenwehr gegen Nazis und RassistInnen eine Überlebensfrage. Wir bestimmen damit ob und wieweit wir uns hier bewegen können. Und dies ist nicht einmal eine Frage der politischen Positionsbestimmung. Unsere Existenz hier hängt von ein paar Papieren und dem Wohlwollen unserer "lieben MitbürgerInnen" ab. Auf letzteres können wir uns erst recht nicht verlassen. Und egal wie überzogen das für euch klingen mag: selbst mit ein bisschen Rassismus ist das Leben unerträglich. Genau das beanspruchen wir, und dafür werden wir kämpfen. Es geht uns um unsere physische aber auch psychische und moralische Integrität. Wir werden nicht gesenkten Hauptes durch die Straßen schleichen, wir werden abends nicht neben dem Feuerlöscher verharren, sondern wir werden, wo und wann immer wir dazu in der Lage sind zurückschlagen.

Was stellt ihr Euch vor? Sollen wir versuchen auf angreifende Nazis pädagogisch einzuwirken? Sollen wir der Oma, die nach fünfzig Jahren immer noch stolz ist auf das Hakenkreuz in ihrem Führerschein Geschichtsunterricht erteilen? Dafür ist es längst zu spät. JedeR MigrantIn und jeder Flüchtling muß für sich selbst entscheiden, wozu sie/er in der Lage ist.

Selbstverständlich ist es weitsichtiger, wenn man/frau seine/ihre Wahl der Mittel davon abhängig macht, ob eine Bewegung auch in der Lage ist, die zu erwartenden Repression zu ertragen. Dies zu entscheiden wäre allerdings nur dann möglich, wenn es eine Wahl des Zeitpunkts und der Mittel gäbe. So wie die Dinge stehen, liegt es an uns, die Solidarität in jedem Fall so gut und so offensiv wie möglich zu organisieren. Diejenigen, die das nicht verstehen können, haben die Lage offensichtlich nicht erkannt.
Diejenigen die auf unseren Rücken ihr "Lieblingsthema", die Gewaltfrage (zum x-ten mal) diskutieren wollen, sind gut beraten dies unter sich zu tun. WIR WERDEN UNS IN DER ZUKUNFT SOLCHEN DISKUSSIONEN ENTZIEHEN. DAS THEMA "GEWALT" STELLT SICH FÜR UNS NICHT ALS FRAGE!

Es geht uns nicht darum zur Liquidierung der Nazis aufzurufen. Und zwar aus folgenden Gründen:

1) Sind wir dazu längst nicht in der Lage.
2) Wäre es kein politisches Ziel. Wenn wir davon ausgehen würden, daß die Nazis eine isolierte und abgeschottete Struktur darstellen, könnten wir dann davon ausgehen, daß danach die direkte physische Bedrohung für das Überleben vielleicht weg wäre.
Dem ist es aber nicht so. Wer unsere Meinung über dieses Volk, seine Taten und seine Fähigkeiten kennt, weiß wie wir darüber denken: Ein LEBEN hier ist nur möglich, wenn sich das gesellschaftliche Klima hier grundlegend verändert. Wir müssen die rassistische Norm durchbrechen. In Rostock und Mannheim haben die organisierten Väter, KaninchenzüchterInnen, GewerkschaftlerInnen, KegelfreundInnen und Hausfrauenvereine längst bewiesen, zu was sie auch ohne ihre Avantgarde alleine in der Lage sind.

Während auf der ganzen Welt, Menschen nach Gründen suchen, warum sie jemanden umbringen (politische, persönliche Anfeindung, Eifersucht usw.), läuft es bei dieser Population umgekehrt: sie müssen nach Gründen suchen warum sie jemanden NICHT 
umbringen sollen (nützlich, nett, noch ein Kind usw.).

3) Wenn nun moralische Empörung angesichts des Todes eines Naziführers geäußert wird, da der Verzicht auf Gewalt gegen Menschen zum Grundverständnis der autonomen Bewegung gehöre, wird die gesellschaftliche Dimension schlichtweg verkannt: Noch mal, wir leben in einer Gesellschaft, in der ein großes Maß an Verständnis, ja an Zustimmung für die Ermordung von Flüchtlingen und MigrantInnen existiert, deren Legitimation für diese Handlungen von den etablierten Parteien bis hin zu linken PublizistInnen und SozialarbeiterInnen mitgeliefert wird. Ein noch größeres Verständnis und Mitleid erfahren die TäterInnen und das bis hin in linksradikale Zusammenhänge hinein. So haben Nazis und RassistInnen kaum etwas zu befürchten. Wenn in dieser Situation Nazis angegriffen werden und dabei umkommen sollten, ist damit längst nicht die Machtfrage gestellt. Wir fragen zurück, und dies soll uns jetzt bitte nicht als Diffamierung ausgelegt werden: Was beinhaltet die Parole "Vergewaltiger, wir kriegen euch." Genau wie (ausländische und deutsche) Frauen, die sich gegen Vergewaltiger zur Wehr setzen, dies nicht tun, weil sie Spaß an Gewalt haben, so erfahren auch MigrantInnen nicht die Erfüllung ihrer Träume, wenn sie sich gegen Nazis wehren. Es geht somit nicht um die Frage nach der revolutionären Moral. Diese kommt erst dann zum Zuge, wenn es eine Wahl gibt. Und über diese Situation, d.h. was wir mit den drei verbleibenden Nazis nach der Revolution (die in Deutschland nicht stattfinden wird, weil es verboten ist) machen, brauchen wir heute nicht zu diskutieren.

Die Wahl der Mittel liegt in der Hand der Angegriffenen. Im Interesse unseres eigenen Überlebens müssen wir auch die aktive Rolle übernehmen, wann immer wir dazu in der Lage sind.

Eins ist dabei ganz sicher: Unsere Handlungen werden wir nicht durch den "Autonomen-TÜV" genehmigen lassen!

In diesem Sinne, "Wenn RassistInnen angreifen, sorg dafür, daß sie es NIE WIEDER TUN!"

Solidarität mit den inhaftierten und verfolgten MigrantInnen in Berlin!

Cafe Morgenland 27.03.1994

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