Kinder aus dem Schlaf gerissen - Polizei stürmt Roma Wohnungen in Duisburg

... "Bei dieser Polizeimaßnahme – die maßgeblich durch z.T. vermummte Duisburger Hundertschafts-Polizist*innen durchgeführt wurde - drang die Polizei in mehrere Wohnungen ein, einige Kinder wurden aus dem Schlaf gerissen und mit Pfefferspray attackiert" ...

Dem vorausgegangen war eine Mob Veranstaltung Duisburger Bürger_Innen.

Wir dokumentieren zwei Darstellungen:

I.: Stellungnahme: 23.08 Duisburg Rheinhausen
Teilnehmer*innen der Nachtwache

Aufgrund der Ereignisse des gestrigen Abends (23.08.2013) im Umfeld des Duisburger Stadtteils Rheinhausen erfolgt hier eine Stellungnahme, die das Geschehene versucht aufzuarbeiten und in den Kontext der antiromaistischen Stimmung – gegen die Häuser In-den-Peschen 3-5 – einzubinden.
Hinzu kommt, dass die bisherige Berichterstattung einseitig, die Situation verkehrend und gespickt mit Falschinformationen ein fiktives Szenario erzeugt hat, welches den realen Ereignissen nicht entspricht, sich jeder journalistischen Verantwortung entzieht und die rassistische Stimmungsmache gegen die Roma-Gruppen In-den-Peschen noch verstärkt hat.

Selbstpositionierung
Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass "wir" aus einer privilegierten, weiß-deutschen Perspektive sprechen und daher nicht für die Betroffenen sprechen können und in unserer Wahrnehmung eingeschränkt sind. Dies gilt insbesondere für diesen Artikel, da wir bis jetzt noch nicht mit den Betroffenen über die letzte Nacht gesprochen haben. Wir bedauern, dass wir damit Gefahr laufen die Betroffenen als unsichtbar zu markieren.

Nach unserem derzeitigen Wissensstand haben sich die Ereignisse wie folgt zugetragen:
Gestern fand – aufgrund der hohen Teilnehmer*innen-Anzahl von etwa 70 Bürger*innen vor den Räumlichkeiten der „Bürger für Bürger“-Bürgerinitiative auf der Brahmstraße 4a - und nicht wie von der WAZ genannt in einem Gebäude auf der Beethovenstraße - zwischen 18:00 und 21:00 Uhr eine „Diskussions-Runde“ für Bürger*innen statt.
Im Laufe der Veranstaltung zeichnete sich das antiromaistische Potenzial einer Mehrheit der Beteiligten ab und führte zu einer Art rassistischem Grundkonsens in welchem sich die eben genannten Menschen fortwährend gegenseitig bestätigten und die Situation weiter anheizte. Gegenpositionen, die sich für die In-den-Peschen-Bewohner*innen aussprachen wurden häufig unterbrochen, beleidigt und bedroht. Nicht zuletzt war die allgemeine Stimmung außerordentlich aggressiv aufgeladen, wodurch eine ziel-führende und differenzierte Diskussion unmöglich wurde.
Unter den Anwesenden befanden sich auch bekannte Neonazis und Mitglieder der rechts-populistischen Partei Pro-NRW. Die genaue Intention der Veranstaltung blieb unklar.

Nach Beendigung der Veranstaltung soll es im näheren Umfeld zu einer Konfrontation zwischen einer Gruppe – die zu einem Teil aus Menschen bestanden haben soll, welche sich vorher während der „Diskussions-Verstanstaltung“ rassistisch geäußert haben sollen – und einer abreisenden Gruppe aus dem antifaschistischen Spektrum.
Nach Provokationen von beiden Seiten soll es zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Laut Presse-Informationen sollen aufgrund des Vorfalls mehrere Menschen ins Krankenhaus eingeliefert worden sein.

Fehlinformationen
Es kam zu mehrere Fehlinformationen darüber, dass organisierte Nazis sich in Rheinhausen sammelten. Dieser Eindruck wurde durch mehrere Twitter-Nachrichten verstärkt. Diese bezogen sich jedoch nur auf die „Bürger für Bürger“-Veranstaltung und deren rassistischer Grundstimmung.
Aufgrund dessen kam es spontan zu einer großen Mobilisierung links-orientierter Personen und Gruppen.

Der große Menschenauflauf führte bei den Bewohner*innen der In-den-Peschen (3-5) – wie "uns" von Teilen der Bewohner*innen mitgeteilt worden ist - zu einer enormen Verunsicherung und Verängstigung. Im Vorfeld haben die Bewohner*innen geäußert, dass es bei ihnen eine Unsicherheit hervorrufe, wenn sich große Gruppen unbekannter Menschen unabgesprochen vor dem Haus (und Umgebung) positionieren. Deshalb wird es gewünscht, dass Menschen in Kleingruppen zum Haus kommen und sich vorstellen.

Polizeieinsatz
Die Polizei nahm gegen 22:30 Uhr die vorherige körperliche Auseinandersetzung zum Anlass
gewaltsam in das Wohnhaus einzudringen. Laut der Polizei seien Beteiligte der Auseinandersetzung in das Wohnhaus geflohen, dafür allerdings waren und sind keine Indizien vorhanden.
Unserer Meinung nach handelte es sich dabei um ein eskalatives Fehlverhalten, welches aus dem unlogischen Fehlschluss einer konstruierten Gefahrensituation seitens der Polizei resultierte.
Dadurch wurden vollkommen unbeteiligte Personen in Gefahr gebracht und in die Verantwortung eines davon unabhängigen Vorfalls genommen.

Bei dieser Polizeimaßnahme – die maßgeblich durch z.T. vermummte Duisburger Hundertschafts-Polizist*innen durchgeführt wurde - drang die Polizei in mehrere Wohnungen ein, einige Kinder wurden aus dem Schlaf gerissen und mit Pfefferspray attackiert, außerdem erlitt eine hoch-schwangere Frau einen Nervenzusammenbruch und wurde ins Krankenhaus gebracht. Nach unseren Informationen wurde mindestens ein Mal aufgelegt, als versucht wurde einen Krankenwagen „In die Peschen“ zu rufen.
Drei Bewohner des Hauses wurden festgenommen, darunter ein Jugendlicher. Ebenso wurden zwei Personen, die sich an der Nachtwache beteiligten, von der Polizei, in Gewahrsam genommen. Nach Zeugenaussagen hätten sich die beiden zu diesem Zeitpunkt schon an der Nachtwache beteiligt und würden folglich nicht als Tatbeteiligte in Frage kommen.
Während des gesamten Polizei-Einsatzes wurde nicht versucht mit den Bewohner*innen zu kommunizieren. Somit haben die Bewohner*innen über die ganze Polizeimaßnahme hinweg keine Information über das Vorgehen der Polizei oder einen Grund für das Eindringen in das Wohnhaus bekommen.

Erste (Selbst-)Reflexion
Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass der Presse massive Falschinformationen vorliegen, welche
durch verschiedenste Presse-Stellen (u.a. WAZ, Xtranews, Polizei-Bericht) publik gemacht werden.
Was uns aber fassungslos macht ist der unverhältnismäßige Polizeieinsatz und die überfallartige Hausstürmung aufgrund von Mutmaßungen und falschen Informationen seitens der Polizei.
Es scheint so, als stecke hinter den Handlungen der Polizei eine rassistische Motivation. Dafür spricht, dass in der Vergangenheit, bei Gefahrensituationen gegenüber den Roma und Romni die Polizei gar nicht kam oder Anrufe einfach ignorierte. Bei dem geschildertem Vorfall war die Polizei jedoch direkt vor Ort und hat Zusammenhänge mit den Bewohner*innen konstruiert und damit ihre rassistische Motivation noch einmal deutlich gemacht.
Als Nährboden dafür sehen "wir" den strukturellen Antiromaismus - vor allem in der deutschen Nachkriegsgesellschaft - da diese Vernichtungsideologie nie aufgearbeitet worden ist. Diese ist in der deutschen Dominanzgesellschaft tief eingeschrieben und zeigt sich exemplarisch an der großen Kulisse an Vorurteilen und Ressentiments auf der beschriebenen Bürger*innen-Veranstaltung.
Als großes Problem bleibt bestehen, dass die Betroffenen selber bis jetzt noch nicht zu Wort gelassen worden sind und mit ihnen nicht kommuniziert wird. Es wird größtenteils nicht mit sondern über sie gesprochen.

Teilnehmer*innen der Nachtwache

II.: Pressemitteilung BgADU

Bündnis gegen Antiziganismus Duisburg

Pressemitteilung / Duisburger Bündnis gegen Antiziganismus 24.08.2013

Eskalation nach Bürgerversammlung in Duisburg Rheinhausen

+++Die Situation im Duisburger Rheinhausen spitzt sich zu. Bürger*innen treiben antiziganistische Stimmung weiter an +++ Pro-NRW und Nazis waren anwesend +++ Auseinandersetzungen nach der Versammlung mit anschließendem Polizeieinsatz +++ Mediale Fehldarstellungen im Anschluss.+++
Zum Verlauf der Bürger*innenveranstaltung:
Die vom „Bürger für Bürger e.V.“ veranstaltete „Diskussionsrunde“ am Freitag Abend wurde aufgrund des großen Andrangs nach draußen vor das Bürgerzentrum verlegt. So kam es dazu, dass viele Anwohner*innen des Stadtteils ihren äußerst rassistischen/antiziganistischen Erklärungen bzgl. der Problemlage im Stadtteil freien lauf ließen. Dies geschah ohne die Anwesenheit städtischer Verantwortlicher oder Bewohner*innen des betroffenen Hauses. Es fielen Wörter wie „Zigeunerbrut“, die Massenhafte Ermordung von Roma im Nationalsozialismus wurde relativiert, „wenn die Stadt nicht eingreift, dann müssen wir halt selber handeln“ war zu hören, es wurde befürwortet sie abzuschieben oder in Lager zu stecken und Mauern und Stacheldraht um sie herum zu bauen. Viele Ängste und negativ- Erfahrungen einzelner Anwohner*innen wurden dazu genutzt, Hetzte zu betreiben und weiter Stimmung gegen „Die Roma“ zu machen. Gegenmeinungen wurden übertönt, auch einmal körperlich unterbunden und nicht zugelassen.
Anstatt sich solidarisch mit den Problemen und deren Ursachen auseinanderzusetzen und die Menschen zu unterstützen um endlich ein besseres Leben für alle Beteiligten zu ermöglichen, werden typische rassistische Stereotype genutzt um die sozialen Probleme und rassistischen Strukturen dieser Gesellschaft den Menschen selbst zu zuschieben und diese zu ethnisieren. Warum diese Menschen nach Deutschland kommen müssen, warum und wie diese Menschen hier ausgebeutet werden wird nicht gesehen. Das Roma seit Jahrhunderten europaweit und besonders in Deutschland verfolgt, diskriminiert, ermordet und systematisch ausgegrenzt wurden und werden scheint für eine deutsch-zentrierte Betroffenheit in Rheinhausen nicht transportierbar zu sein. Es folgten emotionale Betroffenheiten der Anwohner*innen, die keinen blassen Schimmer davon haben, wie es den Bewohner*innen des Hauses geht, wer sie sind und warum sie bspw. dazu gezwungen werden, in diesen Verhältnissen leben zu müssen. Die Bürger*innen Rheinhausens stellen sich als die Opfer hin und entmenschlichen die Bewohner*innen des Hauses „In den Peschen“. Die Bürger*innen stimmten mit den Äußerungen einzelner Pro-NRW Mitglieder und anderweitig bekannter Nazis völlig überein.

Anschließender Verlauf, Polizeieinsatz und Falschmeldung der WAZ(1):
Schon während der Versammlung wurden Anwesende die abweichende Meinungen vertraten fotografiert. Nach der Versammlung zeigten Nazis aus der Umgebung einigen Menschen provokant einen Hammer, den sie in einem Rucksack bewahrten. Äußerungen wurden in etwa laut wie z.B., dass die Rumänen nun erst mal egal seien, „viel wichtiger wäre es „die Antifas“ zu kassieren“. Im Anschluss wurden einzelne Kleingruppen von Abreisenden verfolgt, bedroht und auch attackiert. Es kam zu „Pöbeleien“, Angriffen und weitere Auseinandersetzungen durch eine Ansammlung der aufgebrachten rassistischen Bürger*innen & Nazis an einem Kiosk. Wir hörten von einer Kleingruppe die sogar kurzzeitig in ein Haus von einem älteren Ehepaar flüchten musste.
Im Verlauf riefen wohl die sich als Opfer sehenden Bürger*innen die Polizei und erzählten ihr und einigen Medien ihre Version des Geschehens. Die WAZ brachte im Bezug darauf bereits heute einen Artikel dem wir ebenso stark widersprechen wollen.
Dementsprechend schreibt die WAZ: „sei eine Gruppe von rund 15 jungen Leuten empört aufgestanden, habe diese Menschen [die rassistischen Anwohner*innen] als „Nazis“ tituliert und dann empört den Raum verlassen. Als die Infoveranstaltung gegen 20.45 Uhr beendet war, sollen Teile aus eben jener Gruppe mit Knüppeln bewaffnet draußen vor der Tür auf diese Diskussionsteilnehmer gewartet, sofort auf sie eingeschlagen und diese verletzt haben.“
Es sind jedoch weder Leute aufgesprungen und haben Leute als Nazis bezeichnet, noch haben Leute den Raum verlassen und draußen vor der Tür gewartet um auf die Anwohner*innen einzuschlagen, was im offenen Raum zudem sehr schwierig gewesen wäre. Es scheint uns viel mehr als sollen nun solidarische Menschen, die seit einer Woche die Bewohner*innen des Hauses bei der Nachtwache unterstützen „als gewalttätige Linksextreme“ kriminalisiert werden. So wurde auch gestern Nacht eine Anzeige gestellt, dass eine Person der Nachtwache eine Flasche auf einen Rollerfahrer geworfen haben soll. Ein anwesender Journalist der WAZ widerlegte den Vorwurf und die Polizei sah anschließend davon ab, gegen die beschuldigte Person vorzugehen.
Der brutale Polizeieinsatz am Freitag Abend ist für uns nicht nachvollziehbar und auf das Schärfste zu kritisieren.
Die Mitarbeiterin des Landtags Birgit Rydlewski(2) beschreibt als Augenzeugin und in Übereinstimmung mit unseren Quellen, dass wahllos mit Knüppeln und Pfefferspray in voller Montur Wohnungen ohne Vorwarnung gestürmt worden sind. Dabei wurden Kinder und Eltern einer Familie verletzt. Eine hochschwangere Frau musste mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden. Zudem wurden zwei angebliche Täter eines Überfalls, draußen an einer Wachposten Ecke in Gewahrsam genommen, obwohl sie und mehrere Augenzeug*innen klar machten, dass sie sich schon seit Stunden nur vor dem Haus zur Nachtwache eingefunden haben, nicht ins Haus geflohen sind und mit der Bürger*innenversammlung nichts zu tun hatten. Der Polizeieinsatz ist für uns nicht zu rechtfertigen und wir fordern die Polizei auf, die Bewohner*innen und deren Unterstützer*innen endlich zu unterstützen und nicht als Kriminelle zu behandeln.

Es ist eine Schande, dass nun wieder angeblich gewaltbereite Linksextreme die Stimmung in Duisburg anheizen würden, wo sich seit Monaten oder gar Jahren eine gewalttätige Stimmung gegen Roma in Duisburg zusammenbraut. Der bürgerliche und staatlich gestützte Rassimus gegen Roma (Antiziganismus/Antiromaismus) muss endlich thematisiert und in den Fokus der Auseinandersetzung gesetzt werden.

(1) http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/grossaufgebot-der-duisburger-po...
(2) http://birgit-rydlewski.de/2013/08/24/in-den-peschen-duisburg-letzte-nac...

Das Duisburger Bündnis gegen Antiziganismus ist ein Zusammenschluss mehrerer Einzelpersonen und Gruppen, welches sich aufgrund der massiven Antiromaistischen Stimmung in Duisburg und der entsprechenden Berichterstattung der Medien gegründet hat.

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