Erinnerungskultur und koloniales Erbe - Hamburger Senat versagt auf ganzer Linie

Wie geht Hamburg mit dem Gedenken an die Kolonial-Verbrechen um?

Ich wusste lange nichts vom Kolonialismus. Ich kannte das Wort. Es fiel damals im Schulunterricht. So nebenbei. Als Ergänzung zu der Vermittlung von rassistischem Wissen über Afrika. Da war nicht die Rede von all den Kolonialverbrechen, die Deutschland verübt hat.
Dann habe ich vor ein paar Jahren an einem Stadtrundgang in Hamburg teilgenommen. Es ging um das postkoloniale Erbe von Hamburg. Wir liefen verschiedene Stationen ab. Am meisten geschockt hat mich das Afrika-Haus. Die ganze Szenerie entsprach dem rassistisch vermittelten Wissen und Bildern aus Schule und Gesellschaft im Allgemeinen.
Ich wurde durch den Stadtrundgang auf den Arbeitskreis Hamburg Postkolonial aufmerksam. Es gibt eine Karte, die „koloniale Repräsentationen und Konfrontationen“ in Hamburg aufzeigt. Sehr zu empfehlen, um einen Überblick darüber zu bekommen, wie weit verbreitet und unbenannt koloniale Spuren in Hamburg sind. Es gibt prominente Stationen wie zum Beispiel die Landungsbrücken und das Bismarck Denkmal. Ihre Verstrickung in den Kolonialismus wird auf der Karte sichtbar gemacht.
Und ich frage mich, ob ich meinen Konsum des Mineralwassers „Fürst Bismarck“ einstellen soll. Da habe ich diesen Schrecken des Kolonialismus noch im Herzen und vor allem meine persönliche Desillusionierung weißer Helden vor Augen und lese die Produktslogan des Mineralwassers „Fürst von Bismarck“: „Klar wie Fürst Bismarck“ und weiter, „damit bringt Fürst Bismarck Gelassenheit und Klarheit in unsere immer hektischer und unverbindlicher werdende Gesellschaft und gönnt uns eine kleine Auszeit in unserem Alltag. Eine Auszeit, die wir dafür nutzen können, uns auf das Wesentliche zu besinnen.“
Ich beschließe den Konsum des Wassers einzustellen, außerdem schlage ich vor auf die Klarheit der Kolonialverbrechen zurückzukommen und sich ganz gelassen und besonnen einzugestehen, das Hamburg damit sehr viel mehr zu tun hat, als sich bisher eingestanden wird. Genau darauf hat u.a. der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial in der Vergangenheit immer wieder hingewiesen.
Hamburger Senat beschließt Grundzüge für Erinnerungskonzept
Im vergangen Jahr 2014 hat der Hamburger Senat Grundzüge eines Erinnerungskonzepts vorgestellt, mit dem es gelingen soll das koloniale Erbe der Stadt aufzuarbeiten.
Christa Goetsch lobt Anfang diesen Jahres zwar Initiativen of Color für ihre Arbeit in Bezug auf die notwendige Aufarbeitung des kolonialen Erbes, lässt aber die Vergabepraxis an weiß dominierte Institutionen, in diesem Fall die Universität Hamburg, unkommentiert.
Ich gehe weiter durch Hamburg, habe die koloniale Vergangenheit der Hamburger Universität als ehemaliges Kolonialinstitut vor Augen und stelle mir vor, wie hier eine vernünftige wissenschaftliche Grundlage für ein Erinnerungskonzept gelegt werden kann. Ich lande auf der Website der eingerichteten Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ und sehe einen Aufruf: es werden Links zu Postkolonialen Initiativen gesammelt. Postkoloniale Initiativen arbeiten nicht an der wissenschaftlichen Grundlage für das Erinnerungskonzept mit und werden stattdessen verlinkt. Verlinkt werden ist die einzige passive Rolle, die ihnen zugewiesen wird. Weiter gibt es keine Positionierung, aus der über die eigene Position der Universität in Bezug auf Kolonialismus reflektiert wird. Außerdem muss ich feststellen, dass die Forschungsstelle weiß besetzt ist. Ich sehe nur weiße Leute, keine Expert*innen of Color. Wie schrieb Grada Kilomba? Weiße Räume bleiben weiß.
Perspektivwechsel
Ich denke, es ist ein Perspektivwechsel notwendig. Wie kriegen wir den Perspektivwechsel hin? Wie kann Gedenken an koloniales Erbe heute aussehen und auch Schwarze Menschen und People of Color empowern? Genau diese Fragen hat sich Simone Dede Ayivi mit ihrem Team gestellt und ein Theater-Stück dazu gemacht, dass „Peforming Back“ heißt. Das Konzept „Talk Back“ ist ein Konzept Schwarzen Widerstands und kenne ich von bell hooks. Simone Dede Ayivi ist afrodeutsch und Performt Back. In dem Trailer zum Stück sehe ich wie sie Bilder schafft, die die Dinge beim Namen nennen. Es ist toll anzuschauen, weil es unglaublich gut durchdacht ist und das Durchdachte unglaublich gut visualisiert wird. Sie hat bereits das Wissen zu Kolonialismus, sie braucht keine wissenschaftliche Grundlage mehr. Das liegt daran, dass das Wissen zu Verbrechen und Widerstand in Bezug auf Kolonialismus bereits vorhanden ist, auch auf wissenschaftlicher Ebene.
Die Stadt Hamburg würdigt dieses bereits vorhandene Wissen nicht, sondern richtet in einer weiß dominierten Institution mit einem weißen Team eine Forschungsstelle ein, die zur Aufgabe hat „Verbindungen und Nachwirkungen des Kolonialismus in Hamburg, Deutschland und den ehemaligen Kolonien“ zu untersuchen. Also zur Aufgabe hat Wissen zu schaffen, dass bereits existiert.
Das zeigt mir, dass Postkoloniale Initiativen, darunter auch viele Schwarze Initiativen und Initiativen of Color zwar das Wissen haben, um koloniales Erbe in Erinnerungskonzepten aufzuarbeiten und politisch darauf hingearbeitet haben, dass solch ein Konzept benötigt wird, dann aber um ihren Lohn gebracht werden, wenn Geldmittel an die Universität Hamburg verteilt werden, die selbst noch Aufarbeitung ihrer Verstrickung in Kolonialismus als ehemaliges Kolonialinstitut in Hamburg zu leisten hat.

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