Radio Loretta: Eine Klarstellung.

Im Oktober letzten Jahres hat die türkischsprachige FSK-Sendung Anilar.FM, im Rahmen einer geplanten Sendereihe mit allen Parteien, die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung nach den Wahlen in der Türkei hatten, die faschistische MHP („Graue Wölfe“) ins Studio eingeladen. Dies wurde erst im Nachhinein bekannt. Nach Intervention der zuständigen Redaktion wurde die Reihe vorzeitig beendet, lediglich eine Sendung mit der HDP fand statt, eine Übersetzung hiervon liegt uns nicht vor. Die weiteren geplanten Sendungen mit der CHP und der AKP wurden abgesagt. Bereits mit dem (nachträglichen) Bekanntwerden der Einladung der MHP war in den Strukturen des Senders eindeutig klar, dass diese Einladung absolut untragbar war und ist.

Die eingeladenen MHP'ler wurden vom Moderator während der Sendung hofiert und freundlich behandelt, sie konnten ihre Inhalte unwidersprochen verbreiten. Kritischen Hörer_innen und einer Sendung fiel sofort auf, dass sich im Studio Faschisten befanden. In den darauffolgenden Tagen gab es ein erstes Treffen der zuständigen Redaktion 3 mit dem Moderator, bei dem er zu dem Vorfall befragt wurde und den Vorwurf bestätigte. Es wurde ihm verdeutlicht, dass dieses Verhalten inakzeptabel sei und sicherzustellen sei, dass sich dies nie wiederholt. Ebenso wurde vereinbart, dass Anilar.FM sich auf dem nächsten Treffen der Anbieter_innengemeinschaft (ABG) – dem beschlussfassenden Delegiertenplenum im FSK – schriftlich dazu zu äußern hätte, warum sie die MHP in ihre Sendung eingeladen hatten.

In einer Anilar.FM-Sendung von Ende Oktober/Anfang November 2015 hat der Moderator dargelegt, dass es im FSK nicht gestattet sei, „Graue Wölfe“ einzuladen. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 5. November für eine Sitzung der ABG äußerte er sich folgendermaßen: „Für die Zukunft werde ich vorsichtiger bei der Auswahl von unseren Gästen sein, ich werde darauf achten, dass keine Rechtsextremisten bei uns im Studio sein werden, ich entschuldige mich für diesen Fall bei euch und verspreche für die Zukunft, dass sich so etwas nicht wiederholt.“ Diese erste Stellungnahme wurde als unzureichend kritisiert, weil weniger ein eigener Reflexionsprozess und eine Begründung für das Verhalten ausgeführt wurden, als vielmehr auf autoritäres Denken zurückgegriffen wurde.

Wie aber konnte es im FSK überhaupt zu dieser Sendung mit Faschisten kommen und welche Konsequenzen hat dieses Ereignis für die Sendung und den Sender? Die kollektive Beantwortung dieser Fragen ist für Radio Loretta immer zielführend in dem sich anschließenden Diskussionsprozess gewesen, aber leider nicht für alle daran Beteiligten, wie später noch auszuführen sein wird. Dabei ging es uns immer darum, dass Faschisten nie wieder ins FSK kommen und alles dafür zu tun ist, dass faschistische sowie daran anschlussfähige Positionen und Inhalte hier nicht laufen.

Unter Berücksichtigung der sich ständig zuspitzenden und sich fast täglich verändernden Situation in der Türkei sowie der jahrelang unbeachtet gebliebenen NSU-Mordserie war es unsere Intention, tiefgehend die spezielle Rolle von Anilar.FM im Programm des FSK zu reflektieren – vor dem Hintergrund, dass wir selbst aus einer Position von Mehrheitsdeutschen agieren, sollte dies für uns nicht unberücksichtigt bleiben. Wir wollten uns auf keinen Fall die Entscheidung darüber, was nun zu tun sei leicht machen, denn das Community-Radio hat einen festen und wichtigen Platz im FSK. Anilar.FM ist ein Frühstücksradio mit Volksmusiktendenzen und durchaus kommerziellem Einschlag, das sich an türkische Hörer_innen der sogenannten 1. („Gastarbeiter“-)Generation wendet. Sicherlich ist so etwas nicht unumstritten, gerade bei Hörer_innen, die sich jenseits dieser Zuschreibungen verorten: warum also sollte ein solches Sendeformat seinen Platz gerade im FSK haben?

Die Grundhaltung eines Freien Radios liegt in seiner Offenheit, dazu gehört auch Communities einen Platz zu geben, die sonst in der deutschen Gesellschaft wenig sagen dürfen und wenn überhaupt, dann in erster Linie über Fremdzuschreibungen wahrgenommen werden. Hier nun haben sie die Möglichkeit „für sich“ zu sprechen. Und hier beginnen Probleme – genau solche, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Denn welche gesellschaftlichen Widersprüche kann und sollte sich ein Freies Radio hereinholen? Das wäre die permanent zu führende kollektive Selbstreflexion eines Freien Radios, das sich als emanzipatorischer Gesellschaftsfunk versteht.

Der Klärungsprozess begann mit einem Fehlstart: es entspricht der Tatsache, dass auf einem angesetzten Treffen, auf dem eigentlich vorab die Struktur für den Diskussionsprozess festgelegt werde sollte, statt der vereinbarten zwei Personen nur eine da saß. Im Anschluss an die November-ABG kam es dann doch zu vielen verschiedenen Treffen (ca. 20) im Rahmen der ABGs und darüber hinaus, bei denen immer wieder besprochen wurde, wie das FSK auf die Sendung reagieren sollte. Auf einem weiteren Treffen der ABG wurde dann vereinbart, dass Anilar.FM erstens ihre Positionierung überarbeiten müssten, was immer noch nicht geschehen ist, dass es zweitens eine gemeinsame Live-Sendung zu dem Vorfall geben sollte, die dann auch noch auf dem Sendeplatz von Anilar.FM wiederholt werden sollte, und es drittens einen Transmitterbeitrag dazu geben sollte, sobald der Aufarbeitungsprozess abgeschlossen sei. Besonders die Sendung sollte ein klares politisches Statement sein, dass im FSK Faschisten keinen Platz haben und nicht ihre Inhalte verbreiten dürfen. Darüberhinaus wurde im Editorial des März-Transmitters bereits auf den Aufarbeitungsprozess Bezug genommen.

Bei diesen Treffen ist festgestellt worden, dass es zu diesen Wahlsendungen eine Vereinbarung von Anilar.FM mit allen vier eingeladenen türkischen politischen Parteien über vier aufeinanderfolgende Sendungen gab und dass die Sendung mit der MHP auch unter dem Gesichtspunkt der Bildung einer „Front gegen Erdogan“ zu verstehen sei. In der Erklärung, die Anilar.FM zur November-ABG vorlegten, heißt es: „Diese Wahl war für uns sehr wichtig, dass alle Parteien die gegen Erdogan waren, die Chance hatten in das Programm zu kommen und ihr Wort sagen konnten. Außerdem zwei Tage vorher CHP vorsitzender Kemal Kilincdaroglu hatte gesagt, dass er lieber mit MHP eine Koalition machen würde. Dies war auch ein Grund, warum ich diese Leute eingeladen hatte.“ Ergänzend haben wir dazu in Erfahrung gebracht, dass es eine öffentlich geäußerte Überlegung des HDP-Vorsitzenden mit dem Angebot oder dem Vorschlag einer Duldung durch die HDP für eine Minderheitsregierung aus MHP und CHP gegeben hatte.

Bei den verschiedenen Treffen ist für die Teilnehmenden auch sehr viel von der inneren Verfasstheit der türkischen Gesellschaft erkennbar geworden, auch das Klima in dem die Anilar.FM-Sendenden leben (müssen). Alle diese Momente können nicht außer Kraft setzen: Faschisten haben in FSK-Sendungen keinen Platz – Graue Wölfe haben zum FSK keinen Zutritt! – Ein solcher Vorgang wird sich nicht wiederholen.
An den Entwicklungen in der Türkei, in Kurdistan und Syrien sollten viel mehr Menschen, auch hier im FSK Anteil nehmen, der Solidarität wegen wie auch, weil es tatsächlich das Territorium ist, auf dem aktuell mehr als nur die „Verteidigung der europäischen Demokratie“, so eine Erklärung zu einer kurdischen Demonstration im Sommer 2014 in Düsseldorf, mit ausgefochten wird. Gegenstände der Auseinandersetzung waren auch der Platz der Sendung Anilar.FM im Grundsätzlichen und die Diskussionen zum türkischen Nationalismus im Kontext der Taksim-Bewegung sowie die Regierungsbeteiligung von ANEL bei SYRIZA in Griechenland; ebenso eine Mitteilung über Verbrechen von Linken an Linken in der Türkei während der 1990er Jahre.

Es muss an diese Stelle nochmal unmissverständlich betont werden, dass der Diskussionsprozess für uns noch nicht abgeschlossen ist und somit auch noch gar nicht klar ist, welche Konsequenzen letztlich zu ziehen sind. Vor dem Hintergrund der von uns bisher gesammelten Erkenntnisse können wir es nicht verantworten, die Sendung einfach zu beenden, zumal der Moderator sich – wenn auch nicht in letzter Konsequenz überzeugend – den Diskussionen stellte und stellt. Unsere Intention war dabei stets, den Klärungsprozess in einen weitergehenden kollektiven Erkenntnissprozess zu überführen.

Dass diese Ereignisse in die Hochphase des Umzugs fielen, dem schwersten und kräftezehrendsten FSK-Projekt seit 10 Jahren, erschwerte den Klärungsprozess erheblich und brachte ihn zeitweilig zum Stocken.
Ein Zusammenschluss einiger Sendender hat nun den Umgang des Senders mit der Sendung Anilar.FM kritisiert und fordert im Text „Ohne Schafspelz im FSK“ deren umgehenden Rauswurf. Diese Veröffentlichung erweckt den Anschein, als ob eine Debatte bewusst verschleppt worden sei. Dass die Diskussion um Anilar.FM seit nun fast einem Jahr anhält, ist aber nun einmal wesentlich dem Umzug des FSK ins Gängeviertel geschuldet. Dieser Umstand und die daraus resultierende deutliche Zusatzbelastung für viele Aktive wird in dem Text „Ohne Schafspelz im FSK“ mit keiner Silbe erwähnt. Falsch ist der Vorwurf der Verschleppung auch insofern, als es die Radiogruppe Loretta ist, die immer wieder auf die Aufarbeitung drängte und sich nicht wie die Kritiker_innen mit der rein symbolischen Geste des Rauschmisses begnügen und damit diesen Prozess vorzeitig beenden wollte – weil dies einem gemeinsamen Erkenntnis- und Reflexionsprozess nicht zuträglich gewesen wäre. Radio Loretta war es, das immer wieder jene inhaltliche Debatte forderte und führte, die für die Kritiker_innen schon immer als zu konsequenzlos betrachtet wurde. So wurde dann zum Beispiel auf der August-ABG diesen Jahres leider gar nicht auf unsere Einladung zu einem Austausch über die zugespitzte Situation in der Türkei eingegangen. Wir hatten gehofft, dort zusammen überlegen zu können, welche Probleme für kurdische und türkische Sendende derzeit bestehen und wie der Sender damit umgehen könnte – diese Diskussion wurde aber komplett verhindert. Stattdessen wurde andauernd wiederholt, dass Anilar.FM sofort rauszuschmeißen sei. Signifikant an diesem Prozess ist, dass es Doppelstandards gibt: angesichts dessen, dass in der Vergangenheit Dinge vorgefallen sind, die auch schwerwiegend waren, die aber nicht im Geringsten die gleiche Forderung nach so vehementen Konsequenzen nach sich zogen.

Wenn hier immer wieder von Kritiker_innen und ihrer Kritik am Diskussionsprozess gesprochen wird, muss einschränkend gesagt werden, dass diese verbreitete Kritik größtenteils so tendenziös wie irreführend ist und bewusst auf Falschaussagen beruht. Mit der Veröffentlichung des Textes „Ohne Schafspelz im FSK“ haben die Unterzeichnenden eine regelrechte Kampagne gestartet, bei der offensichtlich vor allem von Außen gegen und in den Sender mobilisiert werden soll. So wurde eine Website gestartet, auf der auch – ohne jegliche Absprache – ein komplettes Archiv interner FSK-Mails öffentlich gemacht wurde. Der Sendeplatz einer tagesaktuellen Info-Sendung wurde benutzt, um darauf den genannten Text vorzulesen. Kurz darauf wurde diese Sendung noch als Podcast auf dem Austauschportal der Freien Radios platziert. Interne Vorgänge derart in die Öffentlichkeit zu tragen, ist in den letzten zehn Jahren beispiellos und wurde als Methode zuletzt von linken Antisemit_innen und Karrierist_innen zur Diskreditierung des Senders angewendet. Auf die Veröffentlichungen folgte seitens der Unterzeichnenden eine massive Mailkampagne nach innen, in einem stets aggressiven Ton gegenüber jenen, die dieses Vorgehen kritisierten, und entgegen klarer, seit Jahren geltender interner Absprachen darüber, grundsätzliche Diskussionen nicht über Mailinglisten zu führen. Die Form und Art der Veröffentlichung, gerade auch über sensible radiointerne Vorgänge, ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit des Freien Radios, denn sie fordert eine „Szene“ auf, in das Freie Radio zu intervenieren. Die vom FSK bewusst eingenommen Distanz zu einer solchen „Szene“ wird bereitwillig aufgegeben, das kritische und unabhängige Medium soll es wohl nicht mehr geben. Die Art des Vorgehens ist eine Aktion, die – ganz bewusst – senderintern eskalieren soll. Inhalte werden offenbar nebensächlich und dienen nur als Aufhänger.

Von einer mittlerweile unübersichtlich gewordenen Fülle an Falschaussagen, die gerade auch schon angesprochen wurden, wollen wir hier vier exemplarisch herausgreifen, die auf den Charakter der scheinbaren Kritik verweisen. Wir beziehen uns hier darauf, was im Papier- und im Mailverkehr öffentlich wurde.

1. Schon der erste Satz im Text „Ohne Schafspelz im FSK“ ist eine Falschaussage, denn erst in dem Klärungsprozess ist eine weitere Sendung mit unter anderem MHP'lern von 2008 bekannt geworden. „Faschisten haben also scheinbar doch Wort und Ort im FSK“, so ein weiteres Zitat aus dem „Schafspelz“-Text, ist die Unterstellung, dass Anilar.FM faschistisch sei wie auch der Moderator. Auch in mehreren Gesprächen ist von den Autor_innen des „Schafspelz“-Textes geäußert worden, die Sendung Anilar.FM selbst bzw. ihr Moderator sei faschistisch. In der gemeinsamen Diskussionssendung wurde sich aber klar und deutlich gegenüber der MHP abgegrenzt und zwar: „Graue Wölfe sind Faschisten, Faschisten sind das Schlimmste, was man denken kann.“ Es ist somit schlichtweg falsch, dass der „Moderator von Anilar.FM“ „in der ganzen Sendung kein inhaltlich-kritisches Wort zur MHP sagt“, wie in dem Papier unterstellt wird.

Diese Behauptung selbst zeigt den ganzen Stil der Kampagne: Bei fehlender argumentativer Basis mit der Methode der Denunziation und der Verleumdung einen Menschen wegmobben zu wollen. Das weisen wir mit Entschiedenheit zurück. Wir, die Radiogruppe Loretta suchen die inhaltliche Auseinandersetzung und die Entwicklung von tragfähigen gemeinsamen politischen Positionen gerade unter Bedingungen der faschistischen Gefahr. Wir verurteilen nicht nur die Einladung der MHP, wir kritisieren das Konzept einer mehrheitsgesellschaftlich nationalistisch motivierten Formierung, wie sie in der nationalistischen Großdemonstration auf dem Taksim-Platz zwei Wochen nach dem Putsch und deren Lynchmob-Mobilisierung – und insbesondere in dem erneuten Krieg in Kurdistan ihre logische Konsequenz – gefunden hat. Wir verkennen nicht die Komplexität und die Schwierigkeit bei der politischen Entscheidungsfindung, in der die antifaschistische Abwehr stehen kann. In dem Wissen um die Komplexität wollen wir nicht besserwisserisch unterwegs sein, sondern zuhören und sprechen. Das Radio ist eine sehr geeignete Plattform für solche Prozesse und in diesem Sinne war die sogenannte Aufarbeitungssendung zu verstehen.

2. Die Behauptung wurde aufgestellt, dass Radio Loretta es verweigert hätte, die Sendung auf die Austauschplattform freie-radios.net zu stellen. Zitat aus dem Flugblatt: „dürfen wir die mehrfach zitierte Sendung nicht als Podcast im Internet veröffentlichen“. Diese Verweigerung existiert nicht, die Behauptung ist schlicht erfunden. Im Übrigen existiert ein „Dürfen“ nicht. Beschlüsse im FSK erfolgen durch Redaktionen und durch die Anbieter_Innengemeinschaft. Alles andere ist Propaganda und das, was der Konformismus daran gerne glauben will, denn schließlich haben die „Schafspelz“-Texter_innen doch selbst Zugang zu den entsprechenden Plattformen und haben die Sendung auf freie-radios.net hochgestellt. Zumal Radio Loretta von einem Unterzeichner der „Kritik“ nach Erstausstrahlung der Sendung den Hinweis bekommen hatte, dass deren Online-Veröffentlichung für die Beteiligten an der Sendung, Anilar.FM und Haymatlos, sehr gefährlich werden könnte. Es wurde von „Todesgefahr“ gesprochen! Aus diesem Grund waren wir sehr vorsichtig mit der Online-Veröffentlichung.
Komplett absurd wird die Sache aber so richtig dadurch, dass eben nun diese Kritiker_innen selbst die Sendung hochgeladen haben und Loretta unterstellen, die Kritiker_innen nun in größte Gefahr gebracht zu haben.
Spätestens hier müssen wir uns fragen: Was ist da bloß los? Was treibt Leute an, so zu handeln? Sicherlich lässt sich einer Ohnmachtssituation auf verschiedenste Weisen begegnen: u.a. mit einer Reflektion der eigenen individuellen und kollektiven Stellung im gesellschaftlichen Prozeß einschließlich einer Kritik der eigenen Klassenposition, anscheinend aber auch mit mythologisch anmutenden Vorstellungen eines revolutionären Subjekts und auch mit Allmachtsphantasien. Diese brauchen einen Feind und sie haben zum Kern die Machtfrage. Soweit diese gesellschaftspolitisch nicht relevant zu stellen ist, wird sie im Nahbereich zu einer alles überformenden Figur. Begriffliche Definitionen sind dann Machtfragen, das gilt sicherlich für viele gesellschaftliche Bereiche. Ein Spezifikum der Linken ist das Verschwinden der Begriffe und der Verlust des Gegenstandes in den resultierenden Machtkämpfen.

3. Auf der ABG Anfang August hat jemand berichtet, dass er in der Vergangenheit zwei Drohungen erhalten hat. In seiner Mail vom 11. August beschuldigte er nun ein Mitglied von Radio Loretta von diesem zur Zielscheibe gemacht worden zu sein und in Folge dessen von Unbekannten anonyme Drohanrufe erhalten zu haben: „Danke... sie haben uns jetzt zur zielscheibe gemacht... wir krigen anonyme anrufe von unbekanter nr. Dass die wir vaterlandtverräter sind..! Danke [hier folgte der Name des Adressaten]...! ...!“ Zwei Wochen später schrieb ein anderer Kritiker, der Autor der Mail vom 11. August sei aus dem Sender geschmissen worden, und er selbst verstieg sich zu der Aussage, „froh gewesen sein zu müssen, während des Abfassens dieser Mail nicht in der Nähe gewesen zu sein.“
Real ist der betreffende Sendungsmachende nicht „rausgeschmissen“ worden. Vielmehr wollte sich niemand von den gerade Anwesenden mit ihm unterhalten, woraufhin er in die Studioräumlichkeiten ging und seine Sendung machte.

4. Alle Stadien und Phasen des Diskussionsprozesses zu der Anilar.FM-Sendung sind dadurch gezeichnet, dass sie sich immer wieder zu der einen Forderung des Ausschlusses zusammengezogen haben. Mittlerweile wird auf die Teilnahme von Anilar.FM selbst gar kein Wert mehr gelegt. Ein auf Erkenntnis gerichtetes Handeln muss sich im FSK Nischen suchen. Nicht neu eigentlich – und ein krasser Verweis auf ein wirkliches Strukturproblem.
Anilar.FM sendet seit dem Jahre 2005 auf FSK. Mehrheitsdeutsche Sendende haben sich mit der Sendung so gut wie nie befasst und schon gar nicht mit ihnen auseinandergesetzt.
Aus allem, was wir bis zu dieser Stelle geschrieben und gesagt haben, soll deutlich werden: Der Abgrund, welcher sich mit der Einladung der MHP aufgetan hat, ist ein Mangel an Struktur des und im FSK. Und unter anderem an diesem Mangel wird auch der Mangel an kohärenter Gesellschaftskritik praktisch. Dieser Mangel äußert sich dann in oben genannten Projektionen. Das wird in dem Kommentar „Spekulation“ von Haymatlos auf einer Website von „Ohne Schafspelz im FSK“ exemplarisch vorgeführt und äußerte sich mehrfach in der verschwörungstheoretischen Unterstellung, wie sie nun nun paraphrasierend wiedergegeben werden soll: „Du hast persönliche Interessen bei deiner Entscheidung gegen einen sofortigen Ausschluss von Anilar.FM“.

Diese Argumentationsstrategie verweist für uns darauf, dass es den vermeintlichen Kritiker_innen eben nicht um eine inhaltliche Diskussion geht, wie sie es selbst behaupten, sondern um eine Kampagne, die den Fall Anilar.FM als einen Aufhänger und Aufreger verwendet, der sich besonders gut für ihre eigene Machtpolitik instrumentalisieren lässt. Sie blockieren die inhaltliche Auseinandersetzung und setzen alles auf die Machtfrage. Der Inhalt und die Form, wie sie ihre scheinbare Kritik vortragen, macht dies offensichtlich:

1. ist besonders eklatant, dass nicht erst eine senderweite Diskussion gesucht wurde. Die Kritik wurde sofort im Internet und auch über Flugblätter verbreitet. Es wurde also sofort die Hamburger Öffentlichkeit, im Speziellen die linke „Szene“ mobilisiert, sich zu den Geschehnissen im FSK zu positionieren und aufgefordert, sich einzumischen. Die Unabhängigkeit des freien Radios wurde verworfen und lieber die „Szene“ angerufen, über die Geschehnisse im FSK zu richten. Radio Loretta begreift ein solches Vorgehen als eine bewusste Erpressung des FSK.

Zum 2. spitzte die Schafspelz-Fraktion die Diskussion durch ihr Schreiben sowie durch ihr dominantes und teilweise aggressives Auftreten auf den August- und September-ABGs dermaßen zu, dass jede_r sich in der Frage des Umgangs mit Anilar.FM entweder nur für oder gegen die Sendung und für ihren sofortigen Rausschmiss aussprechen konnte. Sie haben damit die Diskussion auf eine Auseinandersetzung zwischen Freund und Feind zugespitzt. Und wer sie nicht in ihrem Vorhaben eines sofortigen Rausschmisses unterstützt, unterstützt automatisch Faschisten. Eine offene Diskussion gab es nicht und es kam auch viel zu oft zu haltlosen Unterstellungen.

Dafür spricht zum 3. aber auch, dass in der August-ABG von Unterzeichner_innen des Papiers gesagt wurde, dass man schon immer gewusst haben will, dass dieser Aufarbeitungsprozess nichts bringe und damit nochmal deutlich gemacht wurde, wo das Problem im Sender liege, und zwar bei uns als Radio Loretta.

4. ist es nun auch schon vorgekommen, dass Teile der linken „Szene“, gestärkt von dem Flugblatt und dessen Tenor „Faschisten dürfen im FSK senden“, bewusst provokativ Mitglieder von Radio Loretta beleidigten oder Leute, die sich mit ihnen unterhalten haben, anrempelten, um einen handgreiflichen Konflikt zu provozieren.

5. treten die Kritiker_innen selbst sehr dominant auf und der destruktive Charakter ihres Verhaltens zeigt sich in ihren E-Maildiskussionen. Entgegen aller senderinternen Absprachen führten sie breite und lange E-Mail-Diskussionen über die vielen Verteiler des FSK. Sie waren dort stets präsent und haben immer wieder neue E-Mails mit äußerst fragwürdigen Inhalten geschrieben. Und wenn es mal für ein paar Tage keine Mails gab, schrieb jemand von ihnen wieder eine lange Mail, in der Aussagen bewusst falsch verstanden wurden, um nur das letzte Wort zu haben und nochmal einen drauf zu setzen. Wie absurd und an die erbärmlichen Tage mit dem Forumradio-Kindergarten erinnernd dies bei ihnen dann teilweise wird, zeigt ein Kommentar auf deren Internetseite mit dem Text: „Ob im Vorfeld, Versprechungen in der Form ‚Na entschuldige dich mal brav in der Sendung, dann biegen wir das irgendwie hin‘ gemacht wurden, ist mir nicht bekannt, aber möglich, jedoch reine Spekulation. Und Spekulationen sind in dieser Debatte und auch sonst meistens nicht hilfreich, wir sollten einfach von den dokumentierten Sachverhalten ausgehen und Entscheidungen auf diesen Grundlagen treffen.“ Es wird verneint, dass spekuliert werden sollte und dabei eifrig spekuliert.

Ihre Kampagne erfuhr über die letzten Wochen noch immer weitere Zuspitzungen, da immer noch neue und schärfere Vorwürfe erhoben wurden, was wohl niemals enden soll, bis sie ihre Position durchgesetzt haben. Dass es sich letztlich um einen Machtkampf gegen Radio Loretta handelt, machen verschiedene Aussagen in den kursierenden Mails und auf der letzten sowie der vorletzten ABG deutlich. Hier wurde immer wieder betont, dass das eigentliche oder zentrale strukturelle Problem im FSK eigentlich nur Radio Loretta sei. Es geht in der ganzen Kampagne letztlich also vornehmlich darum, bestimmte Personen in die Schranken zu weisen, wenn nicht gar rauszuwerfen, weil man nicht mit deren Politik und Entscheidungen einverstanden ist. Ziel der Kampagne ist daher, eine Neuausrichtung der politischen Strukturen im FSK voranzutreiben, die mehr gemäß ihrer Positionen funktionieren: Ein Backlash des FSK in einen Propagandasender der linken „Szene“.

Propaganda ist Ausdruck des Elends der „Gegenmacht“. In solchen Zeiten oder gesellschaftlichen Phasen, wie wir sie gegenwärtig leben müssen, gelte es für ein Freies Radio ununterbrochen auf der Suche zu sein, wie der allgegenwärtigen Gefahr von Barberei eine wirksame Sperre zu setzen sei, nicht nur als Voraussetzung überhaupt jeder Emanzipation in materieller Hinsicht, sondern auch als gelebte Momente eines freien Lebens. Im Grunde hat FSK genau das viel zu selten ermöglicht. Das Mitschleppen jeden Ressentiments verstärkt das weit verbreitete Nebeneinanderher, ohne dass eine gemeinsame Vorstellung das Geteilte vermitteln könnte, denn erst die Vermittlung hin zur Totalität könnte weit über die Vorstellung von „Gegenmacht“ hinausweisend sein. Diesem Mangel ist letztlich diese Sendung mit Teilnahme aus der MHP geschuldet und auch deswegen unverzeihlich. Das ist nicht ausschließlich dem Stand der gesellschaftlichen Lage zuzuschreiben. Im Gegenteil: Auf eine solche Position, dem Verweis auf Schuld, zieht sich immer zurück, wer die eigene Verantwortung leugnet und Verantwortungsübernahme verweigert. Genau das aber hat Anilar.FM nicht gemacht, sondern sich vielmehr den Diskussionen gestellt.

Gegenstand vieler Gespräche – und das war in aller Regel nicht auf Plena – ist die Feststellung enormer struktureller Defizite, manchmal verbunden mit Hinweisen auf fehlende Sichtbarkeiten, Awareness, Achtsamkeiten, analytische Arbeitsweisen, redaktionelle Grundsätze, wechselseitige Bezugnahmen und alles was sich gerade in diesen informell verfassten Momenten abbildet. Dort ist zu suchen, inwieweit sich die bisherige Struktur als vielleicht gerade noch tragfähig, aber noch nicht einmal auf der Höhe der gesellschaftlichen Möglichkeiten erweist.

Radio Loretta will den Aufarbeitungsprozess nicht abbrechen, sondern fortführen. Allen Angriffen und fragwürdigem Widerstand zum Trotz ist unser Ziel eine Rückkehr zu einer inhaltlichen Diskussion. Wir lassen uns nicht in eine Position drängen, in der dann die „Szene“ über die Probleme im Sender richten dürfte. Gerade angesichts einer weiteren Faschisierung der Verhältnisse will Radio Loretta das FSK als Stützpunkt emanzipatorischer Kritik und Politik ausbauen und verteidigen – und dabei großtmögliche Vielfalt ermöglichen um wirklich emanzipatorischer Gesellschaftsfunk zu werden.

Es bleibt, an die Einladung zur August ABG zu erinnern und zu dieser zurückzukehren. Wir zitieren:

„Lieber Sender,
am 4.8. ab 20 Uhr ist wieder eine ABG, zu der ihr alle herzlich eingeladen seit.
Auf unserem letzten Loretta-Treffen hatten wir die Idee, auf der nächsten ABG über die Situation in der Türkei zu sprechen. Wir würden die nächste ABG also auch gerne dafür nutzen, um gerade all jene von euch einzuladen und uns zusammen auszutauschen, die im besonderen Maße von der gegenwärtigen Situation in der Türkei betroffen sind. Sei es, dass ihr dort Freund_innen oder Familie habt, dort aufgewachsen oder geboren seid oder ihr euch mit diesem Land auf vielfältige Weise verbunden fühlt oder sonstiges besonderes Interesse an der Situation dort habt. Mag diese Einladung auch etwas sperrig klingen, ginge es uns vor allem darum, uns solidarisch zu den Betroffen im eigenen Sender zu verhalten und auch Räume im FSK für einen solchen Austausch zu eröffnen.
Wir hoffen viele von euch zu Treffen und auf ein interessantes Treffen.
Sicherlich muss auch der rechte Terroranschlag in München ein wichtiges
Thema sein und wie wir uns dazu verhalten wollen.“

Soweit die Einladung zur der gescheiterten ABG im August. Gerne wollen wir diese Diskussion mit allen Interessierten führen.

Radio Loretta,
September 2016

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