Nazi Übergriffe in Kiel

Nachdem bereits am 18. April in Kiel ein Ballettänzer lebensgefährlich verletzt worden war und seit über einem Jahr mehrere Projekte und Wohnungen angegriffen wurden, gab es am vergangenen Wochenende eine offene Bedrohung eines Wohnprojekts.

Wir dokumentieren:

Presserklärung der Wohnungsgenossenschaft Dampfziegelei e.G. – mit der Bitte um Veröffentlichung

Die Mitglieder der „Wohnungsgenossenschaft Dampfziegelei e.G.“ sind glücklich und ein wenig stolz, denn ein ehrgeizig gestecktes Ziel ist erreicht: 34 Menschen, davon 12 Kinder leben seit Anfang Mai in zwei Neubauten und einem sanierten Altbau am Timmerberg in Kiel-Wik. Doch nun sehen sich die Bewohner durch zugezogene Neonazis in der Nachbarschaft bedroht...

Das langjährige Genossenschaftsmitglied Frank Thurow ist erleichtert: „Nach zwei Jahren Baustelle mit viel Eigenleistung sind unsere 15 Wohneinheiten endlich fertig gestellt und bezogen. Für mich persönlich war es eine sehr spannende Erfahrung, ein so großes Projekt mit so vielen Menschen gemeinsam zu planen und durchzuführen – das Ergebnis kann sich sehen lassen!“
Finanziell realisiert werden konnte das Projekt durch Darlehen des Landes und Einlagen der Genossenschaftsmitglieder. Thurow: „Trotz aller Widrigkeiten haben wir geschafft, dass bei uns Hartz IV-Empfänger mit sehr geringen- und Menschen mit größeren Einlagen zusammenleben. Wir sind ein sozial durchmischtes, solidarisches Wohnprojekt.“

Doch das Glück am Timmerberg wird durch eine reale Bedrohung aus der Kieler Neonazi-Szene getrübt. Genossenschaftsmitglied Katja Sträßner: „Offensichtlich genügt schon unsere etwas ungewöhnliche Wohnform, um ins Visier dieser Leute zu geraten. Aus heiterem Himmel wurden bereits im April 2008 abends Scheiben bei uns eingeschmissen. Gott sei Dank wurden keine Kinder von den Steinen oder Glas-Splittern verletzt. Anschließend brüstete sich die faschistische ‚Aktionsgruppe Kiel’ im Internet mit der Tat.“
Nun scheint die Bedrohung noch näher gerückt zu sein. Sträßner: „Besorgte Nachbarn berichten uns, dass provokativ auftretende Neonazis hier in unsere direkte Nachbarschaft gezogen sind. Seit einigen Wochen sehen wir verstärkt Leute mit eindeutigen Nazisymbolen auf der Kleidung hier in der Gegend. Offensichtlich markieren diese Leute in unserer Nachbarschaft ein von ihnen beanspruchtes ‚Revier’ mit einer wahren Flut von Aufklebern. Auf diesen Aufklebern wird eine ‚National befreite Zone’ gefordert und gegen Minderheiten gehetzt.“
Am vergangenen Samstag spitzte sich die Lage zu. Genossenschaftsmitglied Dr. Michael Stalder: „Drei Personen die bei uns zu Gast waren, gingen abends um 19:00 Uhr zu Famila einkaufen. Bereits auf dem Weg wurden sie von Nazis bedroht. Als sie den Supermarkt nach dem Einkauf verlassen wollten, erwartete sie eine schwarz gekleidete 10 köpfige Nazigruppe auf dem Parkplatz. Die Nazis waren mit Knüppeln und Baseball-Schlägern bewaffnet. Glücklicherweise konnten unsere Gäste flüchten.“
Und die Bedrohungen gingen weiter. Genossenschaftsmitglied Nils Cordruwisch: „Abends fand bei uns eine Geburtstagsfeier statt. Zunächst konnten wir es gar nicht glauben, als uns Gäste erzählten sie seien auf der Herfahrt von mutmaßlichen Nazis fotografiert worden. Dann berichteten uns Besucher, eine Gruppe schwarz gekleideter Männer stehe an unserer Zufahrt. Gegen 23:00 Uhr versuchten die Nazis allen ernstes ein Auto zu stoppen, das zu uns fahren wollte. Für uns war überhaupt nicht absehbar, wozu die Nazis nun noch fähig sind. Wir hatten Angst.“ Irritiert zeigte sich Cordruwisch durch die Reaktion der Polizei: „Als ich beim zuständigen Revier anrief und von den aggressiven Nazis in unmittelbarer Nähe der Party erzählte, sagte man mir zunächst, man werde umgehend eine Streife schicken. Dann wurde ich nach 15 Minuten zurückgerufen und es hieß, es sei kein Wagen frei, es werde keine Polizei kommen. Tatsächlich kamen die Beamten erst nach über einer Stunde. In dieser Zeit hätte Schlimmes passieren können.“
Auch Menschen aus der umliegenden Wohngegend fühlen sich unwohl mit ihren rechten Nachbarn. Eine Anwohnerin, die aus Angst nicht namentlich genannt werden möchte: „In unserer Strasse wohnen sehr verschiedene Menschen und das ist gut so. Es ist eine Schande, dass sich Leute aus meiner Nachbarschaft in ihrem eigenen Stadtteil bedroht fühlen müssen, weil sie eine Hautfarbe haben oder eine Frisur tragen, die den Nazis nicht passt!“

Kiel den 27.05.2009

Rückfragen bitte an dampfziegelei [at] gmx [dot] de

Soweit diese Presseerklärung. Das Nachmittagsmagazin wird dazu weiter berichten. Der Fall des schwerverletzten Ballettänzers war Gegenstand einer ausführlichen Berichterstattung, ist keineswegs aufgeklärt und harrt der Beantwortung unserer Fragen durch die Pressestelle der Polizei Kiel.

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