Redebeitrag der Jüdischen Gemeinde Pinneberg zur Demonstration "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland"

Ich kann und will hier keine tief fundierte Rede halten, auch keine politische Analyse liefern, das haben andere schon gemacht, ich will hier einfach sagen, was ich empfinde angesichts der Vorfälle.Ich kann auch nicht für alle Juden sprechen, noch nicht einmal für alle Mitglieder unserer Gemeinde, ich will nur versuchen dazustellen, was ich – und viele andere Juden empfinden und denken.

10 Jahre Naziterror, zehn Jahre Morde und Sprengstoffanschläge durch Nazis und keiner hat was gemerkt. Sagen sie, ob wir ihnen das glauben ist eine ganz andere Sache. Sie haben uns so oft belogen, so oft böswillig getäuscht, haben wir einen Grund ihnen zu glauben. Sie beweisen doch immer wieder auf welcher Seite sie stehen. Sie prügeln Nazidemonstrationen durch, kriminalisieren Antifaschisten und wir sollen ihnen glauben, dass sie ernsthaft etwas gegen Nazis tun?

Als die ersten Morde an türkischen Nachbarn passiert waren, haben wir in den jüdischen Gemeinden natürlich auch darüber gesprochen. Wir haben mit Entsetzen registriert was da passiert war. Und es gab nicht wenige Stimmen die von Anfang an darauf hinwiesen, dass die Verbrechen die Handschrift von Nazis tragen. Die staatlichen Behörden schlossen diese Möglichkeit von Anfang an aus. Schnell zauberten sie Theorien hervor, wie Kurden ermorden Türken, Türken ermorden Kurden, ein Machtkampf unter Rauschgifthändlern, das Wort von den „Dönermorden“ wurde zum täglichen Umgangswort in Sicherheitskreisen und die eingesetzte Sonderkommission erhielt gar den Namen „Bosporus“. Eine eindeutige Schuldzuweisung. Eine andere Möglichkeit wurde gar nicht ins Auge gefasst, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf.

Auch bei vielen Juden verfingen die Lügen der Sicherheitsbehörden, es schien doch so logisch, dass es Kämpfe unter den „Anderen“ waren und nichts anderes. Da musste man sich ja auch keine weiteren Gedanken machen, wie es weitergehen würde, wenn es ja so klar gesagt wurde, dass es keine Nazis waren. Man musste einfach nicht darüber nachdenken, ob wir Juden vielleicht die nächsten sein würden die es trifft. Aber, was gehen uns unsere türkischen und griechischen Nachbarn an?

In unserer Gemeinde wurde weiter darüber gesprochen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit Nazis waren. Und wir hatten keine guten Gefühle dabei. Uns war völlig klar, dass wir die nächsten sein könnten und wir schätzten die Gefahr für uns als sehr hoch ein.Verbunden war diese Erkenntnis mit der Entstehung einer großen Angst – zumal uns ganz klar war, dass wir kein sonderliches Vertrauen zu unseren Sicherheitsbehörden haben können. Wir haben nicht vergessen, welche Väter der Verfassungsschutz und zumindest der BND haben: alte Naziverbrecher die diese Behörden aufbauten und ihre Naziweltanschauung mit in die neuen Behörden nahmen. Ausbilder der neuen Mitarbeiter waren Menschen die zumeist aus der Gestapo oder sogar der SS übernommen wurden. Ihre Naziideen wurden Leitlinien der Arbeit dieser Organe. Auf dem rechten Auge blind, der Feind steht ja links. Nicht viel anders verhielt es sich bei der Polizei – und die Folgen sind bis heute zu sehen, wie ich am Anfang schon sagte, Naziaufmärsche werden durchgeprügelt und Antifaschisten kriminalisiert. Bis zum 30. Januar 1933 war die Hamburger Polizei durch und durch sozialdemokratisch und am 31. Januar 1933 durch und durch nationalsozialistisch – und ich bin mir sicher, heute wäre es nicht anders. Viele Ausbilder der Hamburger Polizei waren vorher Mitglieder eines Polizeibatallions 101 das in Polen und der Ukraine Massaker an den dort lebenden Juden und anderen Zivilisten verübte.Auf das Konto dieser Hamburger Polizisten geht die Deportation von mindestens 45.00 Juden und die Ermordung von mindestens 25.00 Juden und polnischen Zivilisten. Sie waren auch u.a. zuständig für die Bewachung des Ghettos Litzmannstadt. Große Teile der Familie meiner Mutter zählen zu den Opfern dieser Polizisten aus Hamburg.Rein rethorisch gefragt, wie soll ich Vetrauen zu einer Hamburger Polizei, angesichts all dieser Verbrechen, haben?

Unsere alten Menschen verstehen alles nicht mehr, für sie ist es unverständlich wie die Nazis hier hofiert werden und, wie bei dieser feigen Nazinmörderbande, auch noch staatlich finanziert werden. Eine der Aussagen die ich in der letzten Zeit öfter höre ist: Wir haben Hitler überlebt, wir haben Stalin überlebt und wir wollen nicht noch eine dritte Diktatur überleben müssen.Wir haben genug gelitten und wir werden es nicht mehr dulden, dass wir wieder geknechtet werden, wir müssen uns wehren gegen die Nazis auf der Strasse und in den Parlamenten, nicht nur die von der NPD.

Diese Demonstration heute ist ein Zeichen dafür, dass viele Menschen diese Meinung teilen – und ich bin sicher, ich werde viele von Euch am 1. Mai in Neumünster und am 2. Juni hier in Hamburg wiedersehen, wenn es darum geht Nazidemonstrationen, auf welche Art auch immer, zu verhindern. Wir stehen auf Eurer Seite, wir werden dabei sein. In unserem Talmud lesen wir, wenn Du siehst, dass jemand etwas gegen dein Volk tut, und du tust nichts, dann ist es so, als hättest du dein ganzes Volk vernichtet. Rabbiner Oschry sagte u.a.einmal: Die Nazis, mögen ihre Namen ausgelöscht sein, wollen Israel,gemeint ist das Volk Israel, und seine Tora mit einem Schlag vernichten. Es ist daher zwingend für uns, ihre Pläne zu durchkreuzen und unser Leben zu riskieren. Zwingend ist das für uns wird hier ganz klar gesagt, es ist nicht eine Möglichkeit, es ist zwingend.

Wenn ich mich hier so umsehe, sehe ich zwar viele Menschen die gegen Nazis kämpfen wollen, aber ich sehe auch viele Polizisten die keine Sympathie für den Kampf gegen Nazis haben. Sie sind entschlossen Protest gegen Nazis im Keim zu ersticken. Menschenrechte und die Verfassung sind für sie nur Papier. Demonstrationsrecht ist ihnen nichts wert, oder wie ist es zu erklären, dass sie uns verboten haben über die Mönckebergstrasse zu ziehen? Unser Anliegen soll möglichst wenige Menschen erreichen und ich einmal gespannt, welche Repressionsmassnahmen heute noch gegen unser Recht ergriffen werden.

Für Juden ist es ein unglaublicher Skandal, dass Nazis alles völlig ungehindert machen können. Wir haben genug von einem solchen Verhalten des Staates. Durch scheinheilige und verlogene Sonntagsreden werden Nazis nicht bekämpft, die müssen auf der Strasse besiegt werden.

Aus unserer Geschichte, ich meine hier nicht nur die Geschichte der Juden, haben wir ein Vermächtnis zu erfüllen, NIE WIEDER. Scheinheilig feiern, feiern?, Politiker den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, sind aber nicht bereit wirksame Massnahmen gegen neue Nazis zu ergreifen, dieses Gedenken war und ist eine Farce.

Es bleibt die Frage, wer kann uns schützen, wer hilft uns, wenn das eintreten sollte was als Möglichkeit durchaus realistisch ist? Aus allem was ich schon gesagt habe, kann ich nur den Schluß ziehen, dass wir uns auf den staatlichen nur sehr schlecht, wahrscheinlich garnicht, verlassen können. Was aber ist zu tun? Auch hier sind nicht viele Möglichkeiten. Wir müssen unseren Schutz selbst organisieren, wir brauchen verlässliche Partner im Kampf gegen die Nazis. Und ich brauche hier nur in die Runde zu sehen, da sehe ich unsere Bündnispartner. Wenn der Staat unfähig oder unwillig ist – und davon ist auszugehen- haben wir keine andere Wahl. Mein Vertrauen habt ihr. Gemeinsam werden wir diesem Nazispuk ein Ende bereiten. Mögen die Staatsorgane uns auch noch so viele Steine in den Weg legen.

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