Dokumentation: "Der Gauck gehört zu Deutschland"

Kolumne des Café Morgenland im April 2012

Der Gauck gehört zu Deutschland
Nach der erfolgreichen Bewältigung der Eurokrise wurde am 18. März auch die Oberhaupt-Krise, die Deutschland seit Monaten heimgesucht hatte, erfolgreich abgewickelt. Der Traum-Kandidat Gauck wurde mit 80,7% der gefalteten Zettel (also fast auf SED-Wahlniveau) im zweiten Anlauf zum Bundespräsidenten gewählt. Die Nation atmete auf. Da nun die Lobeshymnen auf ihn Konjunktur haben, verspürten wir die Lust, unseren Beitrag zu diesem wichtigen Ereignis zu leisten. Zumal wir hoffen, dass die Zeit dafür nun unpassend genug ist.
Denn er gehört zu Deutschland wie das Kruzifix zu bayerischen Klassenzimmern oder wie Lichtenhagen zu Rostock, zumal dieses Jahr der 20. Jahrestag der damaligen volksfestartigen Pogrome entsprechend „gefeiert“ wird (der Vergleich ist wörtlich zu nehmen, wie nachfolgend gezeigt wird).
Er hatte alle hinter sich: die Allparteienkoalition und den Stammtisch. Die deutschen Intellektuellen und die deutsche Feuilletonisten. Sagen wir: fast alle. Die anderen waren gegen Beate Klarsfeld. Sie wiederum wurde trotz und nicht wegen ihrer Haltung zu Israel nominiert. Irgendeine Kröte musste „die Linke“ ja schlucken.
Der Joachim aber, der kann einiges vorweisen. Damals schon pilgerten seine Schafe von seiner Gemeinde Evershagen (einer Nachbargemeinde von Lichtenhagen), bei der er als Oberhirte tätig war, zu Hunderten zum Sonnenblumenhaus, Abend für Abend, über eine Woche lang, um gemeinsam mit den Lichtenhagenern die Roma zu vertreiben, und anschließend die dort wohnenden vietnamesischen Vertragsarbeiter bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Der Joachim aber, der Joachim hat kein Wort darüber verloren. Er beschränkte sich auf seine berufliche Trost- und Seelsorgespenderei für seine durch die nächtlichen Lichtenhagener Ausflüge erschöpften Gemeindemitglieder. Wobei es nicht sicher ist, ob es gut oder schlecht war, dass er den Mund nicht aufmachte. Wer weiß, was da rausgekommen wäre.
Daher haben wir mit einer gewissen Erleichterung seine Wahl zum Bundespräsidenten wahrgenommen. Endlich der passende für Deutschland, nach so vielen Anläufen. Den haben sie wahrlich verdient. Es war ja auch Zeit. Nun regiert das mecklenburg-vorpommerisches (ein Zungen- und Knochenbrecher für Kanaken) Duo – aus einer nationalbefreiten Zone also – das Land. Eine Pfarrerstochter und ein Pfaffe. Wird das Land religiös? Wird es etwa nicht nur mit den USA, sondern auch mit dem Vatikan konkurrieren?
Und vor allem haben beide ihre Verfolgungsgeschichte. Gaucks Eltern waren stramme Nazis, NSDAP-Mitglieder. Sein Vater wurde durch das SED-Regime in den 50ern für zwei Jahre eingesperrt. Dies (und nicht die Mitgliedsnummer seines Vaters) hat ihm, sagt er, sein Leben geprägt. Genauso wie bei Merkels Unterdrückung, als das SED-Regime sie zwang, ihre Physik-Doktorarbeit endlich abzuschließen. Wahrlich zwei bilderbuchmäßige deutsche Schicksale und Karrieren.
Schon bei seiner ersten Nominierung keimten die ersten Hoffnungen. Vom Wendehals zum Widerstandskämpfer (oder umgekehrt, bei der Sorte weiß man es nie so genau), Denunziant von Amt und Würden, Theontologe, NS-Relativierer und Sarrazin-Fan. Und obendrein spricht er alles offen aus, in einem Land, wo „man bekanntlich ja gar nichts sagen darf“.“
Ein Tabubrecher etwa? Es gibt manche Tabus, deren Unversehrtheit in Deutschland erstrebenswert ist. Z. B. darf man Beate Klarsfeld nicht mehr als „Judenschlampe“ wegen ihres jüdischen Ehemanns beschimpfen. So was ist weder zeitgemäß noch OK. Da wäre sogar ein Teil der deutschen Feministinnen dagegen – wegen der Bezeichnung „Schlampe“, versteht sich!
Und wenn jemand sich traut, ihn anzukratzen, kriegt er es mit Jürgen Trittin, dem Linken unter den Grünen, zu tun, vor allem wenn er ein Kanake und – dazu noch – „mit Migrationshintergrund“ ist, wie zum Beispiel Deniz Yücel, der den Gauck in der taz einen Stinkstiefel nannte.
Dann schicken sie den Trittin zur Zurechtweisung des Kanaken, der sich anmaßt, in deutschen Feuilletons seinen Senf dazu zu geben, anstatt sich mit Gemüse- und Dönerhandel zu beschäftigen, wie es sich gehört.
Wir können unsere Freude über seine Wahl wahrlich nicht verbergen. Noch mehr freuen wir uns über das, was danach kommen wird.
Denn bekanntlich ist ein Bundespräsident außer einer großen Kartoffel so was wie ein Marketingleiter, der das, was er vertritt positiv darstellt, verkauft…. Der reist herum, besucht andere Präsidenten, und wenn er zurückkommt, lädt er das diplomatische Corps ein und sagt irgendetwas Belangloses, ohne das Händeschütteln dabei zu vernachlässigen. All das sogar ohne Ansehen der Hautfarbe, der Religion und der Nationalität. Er geht auf alle zu, ob der Botschafter aus Botswana oder aus Belgien ist. Anderes geht ja nicht. Er muss durch. Ab und zu verleiht er auch Orden. Und einmal im Jahr hält er eine Neujahrsansprache. Die erste Silbe „neu“ bezieht sich auf das Jahr. Denn die Ansprache hört sich meistens an wie eine Wiederholung der vorherigen. Wie Abschreiben halt. Unwahrscheinlich aber. Das mit dem Zitaten-Schummeln haben wir ja erfolgreich hinter uns. Also nicht mal der Rede wert, nicht mal fürs Kabarett brauchbar. Wäre es dabei geblieben, hätte man den Begriff Witzfigur oder Hampelmann benutzen können. Ist aber nicht so. Denn ab und zu „engagiert“ er sich, wie es verniedlichend heißt. Und dann wird es lustig. Oder auch gefährlich. Vor allem, wenn er seine Landsleute zum „Nachdenken“ auffordert. Denn wenn die Deutschen anfangen „nachzudenken“, wird es stets brisant für die, über die nachgedacht wird.
Und der Joachim wird es schon richten. Zwar darf er nicht mehr – auf Anraten seiner Berater – den Thilo wg. seines Mutes loben und hat stattdessen ein Satz in sein Antrittsrede gegen die Nazis und für sein Land hinzufügen müssen, aber, mein Gott, es gibt so viel Zeugs noch zu sagen und anzukündigen... Allein das brandheiße Thema Integration bietet so viele Möglichkeiten. Vor allem in Kombination mit seinem Steckenpferd „Freiheit“. Gruselkabinett… Man kann sich richtig austoben, wie man so sagt. Also, es wird doch nicht so ganz langweilig wie manche befürchten.
Café Morgenland, 02.April 2012

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