Der Genuss des Lynchens

Kolumne des Café Morgenland

Erläuterungen
Am 21.09.2018 lynchte ein Mob von ca. 50 Leuten mittags auf dem Omonia-Platz in Athen, den 33-jährigen Zak Kostopoulos. Für manche, weil er ein Dieb war, für andere, weil er schwul oder queer war, für wieder andere, weil er drogenabhängig war. Jeder hatte was zu vernichten. Haupttäter waren der Besitzer des Juwelierladens, wo er hin flüchtete (wegen einer anderen Auseinandersetzung) und ein Immobilienmakler von gegenüber. Die herbeigerufene Polizei hat den Rest gegeben. Acht Bullen schlugen auf seinen regungslosen Körper ein und haben die Leiche (er war bereits tot) mit Handschellen ins Krankenhaus gebracht, wo nur noch sein Tod festgestellt wurde. Seitdem wird alles darangesetzt, das Geschehen zu vertuschen oder zumindest zu rechtfertigen. So oder so.

Der Genuss des Lynchens

„Was mich sehr betroffen und traurig gemacht hat, war folgendes: Nehmen wir an, die beiden Täter waren Bestien und aus Angst mischte man sich nicht ein. Ich hatte auch Angst zwischen Leute zu gehen, die sich in einem Zustand einer Art Raserei befanden, sie verstanden kein Jesus und zermarterten den anderen. Aber die Masse hat nicht mal geschrien, sie schaute einfach zu, d.h., es war der Horror. Es waren dreißig, vierzig, fünfzig Personen in etwa. Sie haben sich in Amphitheater-Form aufgestellt ohne einen Laut von sich zu geben. Etwa so „Was macht ihr da?“, „Hört auf!“. Auch jemand, der sich nicht nach vorne wagte, könnte etwas rufen. Als ich mich einmischte, hörte ich von hinten eine Frauenstimme „Der Junge hat recht, hört auf, erbarmen! Was macht ihr da?“. Nur eine einzige Frau…“ (aus der Erzählung eines Augenzeugen, Newpost.gr, 27.09.2018):
Vor über 38 Jahren schrieb Elias Canetti in seinem Buch „Masse und Macht“:
„Die Hetzmasse bildet sich im Hinblick auf ein rasch erreichbares Ziel. Es ist ihr bekannt und genau bezeichnet, es ist ihr auch nah. Sie ist aufs Töten aus, und sie weiß, wen sie töten will. Mit der Entschlossenheit ohnegleichen geht sie auf dieses Ziel los; es ist unmöglich, sie darum zu betrügen. Es genügt, dieses Ziel bekannt zu geben, es genügt zu verbreiten, wer umkommen soll, damit eine Masse sich bildet. Die Konzentration aufs Töten ist eine besondere Art und an Intensität durch keine andere zu übertreffen. Jeder will daran teilhaben, jeder schlägt zu. Um seinen Schlag führen zu können, drängt sich jeder in die nächste Nähe des Opfers. Wenn er nicht treffen kann, will er sehen, wie es von den anderen getroffen wird (…). Es ist ein leichtes Unternehmen und es spielt sich so rasch ab, dass man sich beeilen muss, um zurechtzukommen. Die Eile, Gehobenheit und Sicherheit einer solchen Masse hat etwas Unheimliches.“ (Masse und Macht, Elias Canetti, 1980)
Die Tatsache, dass hier eine völlige Übereinstimmung des Textabschnitts von E. Canetti mit den Beschreibungen des Augenzeugen der Ermordung von Zak 38 Jahre später existiert, ist kein Zufall, sondern die Substanz, die Feststellung des Verhaltens der Hetzmeute, hier konkret der griechische Hetzmeute. Wenn wir gedanklich den amphitheatermäßig aufgebauten Halbkreis der Voyeuristen (Mittäter, Anwesende, Tele-Zuschauer usw.) erweitern, haben wir die Gesamtheit der griechischen Gesellschaft, inklusive ihrer Ausnahmen („Nur eine einzige Frau…“). In dem Land, wo die Denunziation und Sprüche wie „Ich hole die Bullen“ tägliches Brot sind, hat sich eine einzige Person aus der ganzen Menge gefunden, die die Täter anprangerte. Die restlichen Anwesenden des Lynch-Geschehens wurden zu Mittätern der Mörder, und zwar zweimal. Mit ihrem Schweigen während des Verbrechens das erste Mal. Und mit ihrer Deckelung des Mordes danach zum zweiten Mal.
Und sie wussten ganz genau wen sie töten wollten … den Junkie, einer von denen, die in Exarchia durch irgendwelche anarchistischen Gruppen weggejagt werden; … die „Schwule Sau“, einer von denen, die durch irgendwelche „Rouvikones“ (populistische anarchistische Gruppe) von einem Schwulen-Treffpunkt im „Pedio Areos“-Park gejagt wurden und welche die Videoaufnahmen ihrer Jagd veröffentlichten; … den Dieb, einer von denen wie Ilia Kareli, den die Bullen im Gefängnis von Nigrita-Serres mit Schlägen umbrachten. Es war also einer dieser spontanen Momente der Säuberung der griechischen Gesellschaft von solchen Bazillen.
Der amphitheatermäßige Aufbau der 30, 40, 50 Zuschauer, die den Mord genossen, bestand nicht nur aus „Bossen und Kleinbürgern“, sondern auch aus Arbeitern, Arbeitslosen, Intellektuellen, Dummen und Schlauen, Familienvätern und Ledigen usw. Die wahrlich großen Anstrengungen der Mehrheit der Greko-Anarchisten und Greko-Linken, die Täter in den bekannten Rahmen von „Bosse und Staat“ einzugrenzen, ist zwar ehrlich, bleibt jedoch ein ekelhafter Versuch, den Mord zu deckeln und zu rechtfertigen. Denn die Schuld geben sie dem Memorandum, der Krise, der Regierung, dem Staat… sogar Israel haben sie als den Schuldigen auserkoren, z.B.
„Dieses Klima, in dem die Schwachen zu Boden getrampelt werden, ist genau das gleiche was die Taten der amerikanischen Mörder in unserer Gegend rechtfertigt und sie als Freunde und Beschützer darstellt, sowie die Geschäfte mit den faschistischen Regimen von Israel und Ägypten vorantreibt…“. (aus der Erklärung zu dem Mord der KPG/ML, 23.09.2018). Sowas könnte problemlos von Antarsia (linke antisemitische Gruppe), von KPG (ohne ML) und anderen demokratischen Kräften unterschieben werden.
Und weil bekanntlich, „was die Fußtritte des Mobs nicht erledigen können, übernehmen zum Abschluss die Schlagstöcke der Bullen“, geschah danach das zweite abschließende Lynchen durch die Staatsorgane. Anderswo nennt man sowas Arbeitsteilung.
Manche schlagen sogar Alarm, weil sie die Reinheit ihrer revolutionären Subjekte in Gefahr sehen: „Schließlich herrschte bei den Reaktionen auf den Mord die ideologische Hegemonie von Randgruppen der Autonomie und des Nihilismus, von regierungsfreundlichen LGBT-Organisationen und reaktionären Liberalen… Für uns sind sowohl die Texte, die die Schlussfolgerung exportieren, dass an dem Mord „alle schuld“ sind, „die ganze griechische Bevölkerung“, „insgesamt alle griechischen Bürger“, als auch die weitgehend unpolitischen Parolen, die die Demos beherrschten, Ausdruck von Kleinbürgertum, sie sind Anarchie-feindlich. Unsere Position ist, dass solche Gruppen, die sagen, dass „alle griechischen Bürger homophob sind“ aus den Versammlungen als faschistoid oder zumindest als karikaturhaft, mit Fußtritten raus gejagt werden müssen“ (aus athens.indymedia, 27.09.2018, „anarchistische Initiative nabat“). Sie haben vergessen zu ergänzen …mit Fußtritten wie bei Zak.
Obwohl wir uns gewöhnlich einseitig mit den Tätern beschäftigen, werden wir uns hier eine Ausnahme erlauben: Der Vernichtungswahn gegen Zak spitzte sich umso mehr zu, umso mehr ihn seine Kräfte verließen, anstatt nachzulassen. Sogar als er im Sterben lag, schlugen sie mit Pathos und Genuss auf ihn ein. Der Grund? Zak hat sie nicht mal in dem schlimmsten Moment seines Lebens um Erbarmen gebeten, nur seine Hände legte er auf seinen Kopf, um sich vor deren Fußtritten zu schützen. Zak hat denen keine einzige Minute den Gefallen getan, sie um sein Leben anzubetteln. Keinen einzigen Moment, nicht mal daran gedacht. Einerseits wegen seiner Erfahrung, dass es kein Sinn macht sich an solche Humanoiden zu wenden, andererseits hat sein schwuler Stolz ihm nicht erlaubt, vor deren Füßen zu kriechen und sie um sein Leben anzuflehen. Zak hat sie blamiert… sie mussten ihn am Boden mit Gewalt zerren, bis sie aus ihm einen Haufen von blutüberströmtem Fleisch machten.
Daher müssen ab nun alle, die Worte wie „Schwul“ oder „Queer“ in den Mund nehmen, dies mit der gebotenen Ehrfurcht tun. Tun sie es nicht, sollten sie mit den daraus resultierenden Konsequenzen rechnen, wegen Blasphemie.
Jede Person, die als Junkie, Schwul, Taschendieb oder sonst was beschimpft und angegriffen wird, muss selbst entscheiden, ob der Angriff militant oder „reformistisch“ abgewehrt werden soll. Obwohl wir uns das erste wünschen, wollen wir niemandem den „richtigen Weg“ vorschreiben.
Was wir allerdings als unsere Pflicht sehen, ist unsere eigene Haltung klar zu machen gegenüber den Tätern und denen, die sie decken. Eine tiefe, scharfe Trennlinie vor unsere Füße zu ziehen, in dem wir uns diesem ganzen Gesindel, dass sich Gesellschaft, Nation, Volk und allgemein Griechen nennt, gegenüberstellen. Falls es jemand schaffen sollte, die Fronten zu wechseln, ist das zwar willkommen, das ist jedoch nicht unser Ziel. Unserer Ziel ist, deren Lynchgenuss mit allen Mitteln zu vermiesen, es in seine Löcher zurück zu drängen, es zu zwingen unruhig zu schlafen, Angst zu bekommen, wenn es den Mund in seinen Cafés, in seiner Nachbarschaft, in seinen besetzten Häusern und Versammlungen aufmacht… uns mit unserer ganzen zärtlichen Tollwut und unserem Hass gegen diese Gesellschaft zu stellen.
Café Morgenland und Verschwörerinnen, 10.10.2018

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