Diesen Samstag, 20-23 Uhr: Lignas Music Box: STAUB

Die Strahlen der Märzensonne brechen sich allmählich durch den winterverhangenen Himmel und erleuchten die rußigen Fensterscheiben. Die letzten Monate haben ihre staubverwebten Spuren hinterlassen – unweigerlich, es ist höchste Zeit für einen Frühjahrsputz, um ihm zu Leibe zu rücken.
Mit eigens konstruierten Staubfängern jagen wir ihm hinterher, versuchen ihn einzufangen, ihn seiner Unstetigkeit zu rauben, ihn vor uns auszubreiten und in ihm zu lesen. Was wir nicht alles in ihm finden:
Die Sterne, den Anbeginn der Welt und vielleicht auch schon ihr Ende, all unsere Tage und all unsere Nächte, die zermahlenen Reste der menschlichen Geschichte und ihrer Artefakte – und als schöne Kunst betrachtet, Formen seltsamer Architekturen, ganze Städte und Landschaften von oben betrachtet, und wie mit kindlichem Vergnügen und ausgestrecktem Zeigefinger darin eingeschrieben eine Ziffernfolge, die da lautet: 432 500 46.
Ein Zeichen, umrahmt vom Staub aller Zeiten. Zu deuten gewusst nur von Eingeweihten, die sich darin erinnern, dass dies die Studionummer des Radios ist. Gewählt fügt sie den feinstofflichen Äther, jenen des Klangs, der Stimme und Myriaden kleinster Partikel zusammen, die mit jedem gesprochenen Wort ein- und ausgeatmet, ins Wirbeln geraten, neue Bahnen ziehen, Wolken gleich fortgetragen werden, um wieder ihre Richtung zu wechseln, und regengleich herabzufallen, bevor sie erneut in neue Konstellationen geraten, neue Formen bilden, um diese beim nächsten Windstoß wieder zu ändern.
Ein unermessliches Universum rätselhafter Gebilde, für unser Auge gewöhnlich fast unsichtbar, von zeichnerischer Hand kaum festzuhalten in ihren stetig wechselnden Formen. Und in ihrem Klang noch weniger zu fassen, aber vielleicht doch von einem akustischen Mikroskop als wunderliche Welt ungehörter Symphonien zu erforschen.
Staubmusik: In die Rillen alter Vinylplatten eingerabene Landschaften, zermahlen und zusammengefügt zu knisternd-knackenden Klangspuren, gleichmütig von der Saphirnadel abgetastet. Doch der einst unerwünschte Nebeneffekt erlebt eine Wiederauferstehung im Moment seiner digitalen Auslöschung. Die Störung als Kopie hält Einzug in die Musik. Jedes Staubkorn eine künstlerische Geste. Bis auch diese nostalgische Phase wieder ihr Ende findet. Gibt es sie aber überhaupt, die absolut staubfreie Musik? Oder ist sie so unwahrscheinlich wie eine reale Welt in Technicolor, ein reines Paradies für die Ewigkeit.
Diese und weitere Beispiele für den Siegeszug und den Untergang des Staubs in der Musik sind einzuspielen über das Studiotelefon. Nebst Betrachtungen über diesen unerwünschten Gast, der gleichsam alles umgibt. Und der sich den zahllosen Versuchen entzieht, ihn mithilfe von Entstaubungspumpen einzufangen und stillzustellen. Herz schlägt Staub. Vergeblich. Noch schneller macht er sich davon, raketengleich, um in den Kosmos zu entfliehen. Doch für einen Augenblick kann man ihm habhaft werden, ihn in den Hörer des Telefons einsaugen, ihn mit musikalischer Watte betäuben und sein Ende heraufbeschwören. Bevor er wieder davoneilt und wir mit ihm. Von einem Radio zum nächsten.
Allesamt nur Staubkörner.
Festzuhalten bleibt nur: Die Utopie des Staubs muss erst noch geschrieben werden.

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