LIGNAs Music Box

Es gibt viele Anfänge und keine erste Sendung. Im November 1995 setzten sich zwei spätere LIGNAs Music Box-Moderatoren in das Studio des Offenen Kanals (dem Vorgänger von TIDE), von wo FSK damals sendete und forderte die HörerInnen auf, anzurufen. LIGNAs Love Line hatten sie die Sendung getauft, Liebeslieder waren das Thema. Sie spielten Musik und sagten die Telephonnummer durch. Keiner rief an. Sie hatten ihre Freunde nicht instruiert – und auch sonst war unklar, wer die Sendung hörte. Dann entschlossen sie sich, eine Freundin in Berlin anzurufen. Sie behaupteten dreist, dort wäre die Sendung zu empfangen. Die überraschte Freundin wollte Pink Floyd spielen, „Wish You Were Here“, ein einfacher Wunsch, den das Radio so herrlich zerstreut, indem es die Stimmen vervielfältigt. Sie fand aber die Kassette nicht. Aber ihr Wunsch wurde gehört: Einer der vielen unbekannten Hörer rief an, er hatte das Stück zu Hause, das zu Beginn klingt, als käme es aus dem Radio.

Ein perfekter Anfang, aber das Experiment, um das es bei dieser Sendung ging, schien misslungen: LIGNAs Love Line wollte die Hörenden zu Sendenden machen, den Distributionsapparat, wie Bertolt Brecht das in den 20ern nannte, in einen Kommunikationsapparat verwandeln. Doch offenbar gab es kein Begehren, diese Umwandlung vorzunehmen. Und war es wirklich eine Kommunikation, wenn Hörende sich für die Zeit eines Anrufs an die Öffentlichkeit wagen, um ein Musikstück zu spielen? Verwandelte sich das Radio nicht vielmehr in einen Wunschapparat, in dem die HörerInnen selbst ihre eigenen Wünsche erfüllen könnten? Diese Frage genügte als Motivation, die Sendung als Parodie der Wunschkonzerte öffentlich-rechtlicher und privater Sender fortzusetzen und dann, vom April 1997 an, zuerst monatlich als Mnomnosonor Kroppo Radiot auf FSK auszustrahlen, ein wenig griffiger Titel. Neue Praktiken mit technischen Apparaten – in diesem Fall das Telephon nicht als Gesprächsinstrument, sondern als Mikrophon für eine Musikübertragung im Radio zu verwenden – brauchen ihre Zeit, ebenso wie manche Titel...

Wünsche lassen sich nicht vorhersehen und so bezaubert immer wieder, welche Wünsche hörbar werden. Manche Wünsche kehren wieder. Mit jeder Sendung hoffen wir auf die Entprivatisierung aller Wünsche durch die akustischen Geschenke, die sich die HörerInnen gegenseitig machen, und mit denen eine andere Ökonomie jenseits der Warenform erinnert wird. Mit jedem Wechsel der Hierarchie zwischen Hörenden und Sendenden wünschen wir uns das Aussetzen aller Ungleichheiten, wie sie in allen anderen Medien und unserer Gesellschaft Tag für Tag reproduziert werden – und träumen von einer kollektiven Produktion der Wünsche, in denen sich das Glück endlos vervielfältigt.

(erschienen in: transmitter 0607)

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