Stellungnahme zu der Berichterstattung im Offenen Kanal Lübeck anlässlich der Nazidemo am 31.03.2012

Gefunden bei http://antirassismusluebeck.blogsport.de:

An­läss­lich der all­jähr­li­chen De­mons­tra­ti­on von Neo­na­zis in Lübeck plan­ten – wie be­reits in den Vor­jah­ren – Re­dak­teur_in­nen des Ze­cken­funks in Zu­sam­men­ar­beit mit der Frei­en Ra­dio­initia­ti­ve Schles­wig-​Hol­stein eine un­ab­hän­gi­ge Be­richt­er­stat­tung im Of­fe­nen Kanal Lübeck. Von der Lei­tung des OK wur­den die An­mel­der_in­nen auf­grund von In­ter­es­sens­kon­flik­ten zu einem Vor­ge­spräch mit dem Lei­ter des OK Schles­wig-​Hol­stein, Peter Wil­lers, ge­be­ten, an dem über­ra­schend der Po­li­zei­chef von Rat­ze­burg sowie der Lei­ter der Po­li­zei­dienst­stel­le Neu­müns­ter-​Ein­feld be­tei­ligt waren, die an die­sem Tag vor­geb­lich als Pri­vat­per­so­nen zu sen­den be­ab­sich­tig­ten. Zum Sen­de­kon­zept wurde wäh­rend des Ge­sprächs er­läu­tert, es soll­ten „Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im Ein­satz zu Wort kom­men“, die Ein­satz­lei­tung der Po­li­zei solle in­ter­viewt wer­den, au­ßer­dem sei vor­ge­se­hen, „An­ge­hö­ri­ge von im Ein­satz be­find­li­chen Po­li­zis­ten“ live im Radio zu be­fra­gen. Nach­fol­gen­de Re­cher­chen er­ga­ben, dass die Sen­de­kon­zep­ti­on bei der Ge­werk­schaft der Po­li­zei (GdP) er­ar­bei­tet wurde, die sich in Zu­sam­men­hang mit dem Na­zi­auf­marsch wie­der­holt po­li­tisch im Sinne einer Kri­mi­na­li­sie­rung von Ak­tio­nen des zi­vi­len Un­ge­hor­sams po­si­tio­niert hatte. Um zu­nächst an dem frag­li­chen Tag über­haupt eine Sen­de­opti­on zu haben, wil­lig­ten die an­we­sen­den Re­dak­teur_in­nen einer Auf­tei­lung der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Sen­de­zeit zu, die ihnen als al­ter­na­tiv­los prä­sen­tiert wurde. Dies führ­te zu­gleich zu einer Re­du­zie­rung der ur­sprüng­lich an­ge­mel­de­ten Sen­de­zeit. Wei­ter­hin wurde sei­tens der Lei­tung des OK deut­lich ge­macht, dass eine Kom­men­tie­rung der je­weils an­de­ren Sen­dun­gen an dem Tag zu un­ter­blei­ben habe.

Der Prä­ze­denz­fall einer Über­nah­me der Be­richt­er­stat­tung durch die Exe­ku­ti­ve und die damit ver­bun­de­ne Miss­ach­tung des Ge­bo­tes der Staats­fer­ne des Rund­funks führ­te in der Nach­be­rei­tung die­ses Tref­fens dazu, dass die Re­dak­ti­on sich ent­schloss, recht­li­che Schrit­te zu un­ter­neh­men und zudem po­li­tisch deut­lich mach­te, dass sie der ge­plan­ten Ei­gen­be­richt­er­stat­tung der Po­li­zei keine Le­gi­ti­ma­ti­on und Auf­wer­tung durch eine ei­ge­ne, um­fang­rei­che Be­richt­er­stat­tung ver­lei­hen würde. Eine Klage auf vor­läu­fi­gen Rechts­schutz wurde beim Ver­wal­tungs­ge­richt Schles­wig ein­ge­reicht, die al­ler­dings for­ma­lis­tisch ab­schlä­gig be­schie­den wurde, ohne dass der ent­schei­den­de Punkt des Ein­griffs in die Rund­funk­frei­heit in dem Ur­teil be­han­delt wurde. Aus die­sem Grund ent­schied sich die Re­dak­ti­on, auf eine ei­gen­stän­di­ge Be­richt­er­stat­tung zu ver­zich­ten. Von der Lei­tung des OK-SH wurde am Vor­a­bend der Sen­dung mit­ge­teilt, dass ein pri­va­ter Si­cher­heits­dienst für den Tag en­ga­giert sei und Sen­den­de des „Ze­cken­funks“ im Vor­feld ihre Per­so­na­li­en an­zu­ge­ben hät­ten.

Die an­de­re Sen­dung zu kom­men­tie­ren, hätte zu einer weit­ge­hen­den Ab­hän­gig­keit der Sen­den­den von den Bei­trä­gen der GdP ge­führt und zudem durch die Vor­spie­ge­lung eines „Wett­be­werbs der Po­si­tio­nen“ den zen­tra­len Skan­dal des Ein­griffs in un­ab­hän­gi­ge Be­richt­er­stat­tung ver­tuscht. Die po­li­ti­sche Kon­se­quenz der Kon­stel­la­ti­on im Sen­der und die Er­eig­nis­se in der Stadt be­stand darin, die Apo­ri­en einer kri­ti­schen Be­richt­er­stat­tung durch Aus­strah­lung der ato­na­len Oper „Moses und Aron“ zu re­flek­tie­ren. Diese Oper stellt zu­gleich eine Stel­lung­nah­me zu dem an dem Tag statt­ge­fun­de­nen na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Auf­marsch in Lübeck dar, ver­ge­gen­wär­tigt man sich, dass der Kom­po­nist der Oper, der jü­di­sche Emi­grant Ar­nold Schön­berg, be­reits 1923 an Kandins­ky schrieb: „Denn was ich im letz­ten Jahre zu ler­nen ge­zwun­gen wurde, habe ich nun end­lich ka­piert und werde es nicht ver­ges­sen. Dass ich näm­lich kein Eu­ro­pä­er, ja viel­leicht kaum ein Mensch bin, (…) son­dern, dass ich Jude bin“. In einem wei­te­ren Brief an Kandins­ky for­mu­lier­te Schön­berg eben­falls 1923: „Wozu aber soll der An­ti­se­mi­tis­mus füh­ren, wenn nicht zu Ge­walt­ta­ten? … Dann wer­den Ein­stein, Mah­ler, ich und viele an­de­re al­ler­dings ab­ge­schafft sein.“

Die Be­richt­er­stat­tung der GdP lief ent­spre­chend er­war­tungs­ge­mäß. Eine Fülle von Po­li­zei­be­am­t_in­nen wurde in­ter­viewt (was un­ab­hän­gi­gen Jour­na­lis­t_in­nen in die­ser Form wohl nicht mög­lich ge­we­sen wäre), zwi­schen­zeit­lich wur­den als Beleg der ei­ge­nen Aus­ge­wo­gen­heit In­ter­views u.a. mit Ver­tre­ter_in­nen des kirch­li­chen und par­tei­po­li­ti­schen Spek­trums der Ge­gen­de­mons­tra­ti­on ge­führt. Die In­ter­view­fra­gen ziel­ten er­war­tungs­ge­mäß wie­der­holt dar­auf ab, durch eine Ver­men­gung von Ak­tio­nen des zi­vi­len Un­ge­hor­sams (ins­bes. Blo­cka­den) mit mi­li­tan­ten Ak­ti­ons­for­men eine Be­gren­zung „le­gi­ti­mer Wi­der­stands­for­men“ auf das po­li­zei­lich er­laub­te Maß vor­zu­neh­men. Eine Re­flek­ti­on der ge­sell­schaft­li­chen Be­dingt­heit rechts­ex­tre­mer Ein­stel­lungs­mus­tern un­ter­blieb er­war­tungs­ge­mäß. Übrig blieb eine ver­ton­te Ex­tre­mis­mus­theo­rie ohne auf­klä­re­ri­schen An­spruch. Der Ver­lauf der Sen­dung be­leg­te ein­drück­lich, dass die vom Re­dak­ti­ons­kol­lek­tiv be­schlos­se­ne Sen­de­kon­zep­ti­on die unter den ge­ge­be­nen Um­stän­den best­mög­li­che Kom­men­tie­rung des Tages dar­ge­stellt hatte.

Aus un­se­rer Sicht ist es be­dau­er­lich, dass die im Vor­feld an­ge­streng­te Klage gegen die Über­nah­me des OK durch Po­li­zei­be­am­te nicht von Er­folg ge­krönt war und sich so der Po­li­zei die Mög­lich­keit er­öff­ne­te, eine An­stalt des öf­fent­li­chen Rechts zu be­set­zen.
Die di­rek­te Ein­fluss­nah­me der Po­li­zei auf un­lieb­sa­me Be­richt­er­stat­tung, die in Schles­wig-​Hol­stein – wie in der Pres­se­er­klä­rung der frei­en Ra­dio­initia­ti­ve vom 22.​03.​2012 dar­ge­stellt – eine lange Vor­ge­schich­te hat, hat damit eine neue Qua­li­tät er­reicht. Die Sen­dung der Be­am­ten zeigt ein­drück­lich, dass Kon­zep­ti­on und In­ter­view­part­ner ein po­li­ti­sches An­lie­gen wi­der­spie­geln, dem sich die GdP be­reits in der Ver­gan­gen­heit ver­pflich­tet fühl­te, u.a. durch Vor­wür­fe an den ehe­ma­li­gen Spit­zen­kan­di­da­ten der SPD, Ralf Steg­ner, die­ser rufe durch sei­nen Auf­ruf zur Be­tei­li­gung an den An­ti-​Na­zi-​Ak­ti­vi­tä­ten zu „Straf­ta­ten“ in Form von Sitz­blo­cka­den auf. Es ist ge­lun­gen, die Vor­fäl­le um den OK in Tei­len der über­re­gio­na­len Pres­se zu skan­da­li­sie­ren. In einem nächs­ten Schritt wer­den wir (neben der Klä­rung ju­ris­ti­scher Hand­lungs­op­tio­nen) ver­stärkt Kon­tak­te zu den­je­ni­gen ge­sell­schaft­li­chen Kräf­ten in­ten­si­vie­ren, denen kon­sti­tu­ti­ve Ele­men­te bür­ger­li­cher De­mo­kra­tie wie Un­ab­hän­gig­keit der Be­richt­er­stat­tung und Ge­wal­ten­tei­lung noch nicht zu lee­ren Wort­hül­sen ver­kom­men sind und uns an dem Auf­bau frei­er und kri­ti­scher Sen­de­struk­tu­ren in Schles­wig-​Hol­stein be­tei­li­gen. Wir wer­den auch für das kom­men­de Jahr eine kri­ti­sche Be­richt­er­stat­tung an­stre­ben und gegen einen staat­li­chen Ver­laut­ba­rungs­rund­funk an­kämp­fen!

Lübecker Bünd­nis gegen Ras­sis­mus
Freie Radio In­itia­ti­ve Schles­wig Hol­stein
LPG (A) Lö­wen­zahn, Schles­wig Hol­stein Re­dak­ti­on im Frei­en Sen­der Kom­bi­nat Ham­burg – Schles­wig Hol­stein

Lübeck, den 12.​04.​2012

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