Lampedusa im Rathaus

Vorab aus dem transmitter für November 2013 veröffentlichen wir einen Text aus dem hervorgeht, daß mindestens Teile der Hamburger Innenbehörde die Öffentlichkeit mit Halb- und Unwahrheiten hinters Licht zu führen bemüht scheint. Diese, unsere Feststellung bezieht sich wesentlich auf drei in diesem Text dargelegten Vorgänge:

1.Der Senat bzw. dessen Beauftragte hat/haben mit der Gruppe keine Verhandlungen und lediglich ein einziges Gespräch geführt. Sie sprechen dennoch wiederholt von gescheiterten Verhandlungen.

2.Anonymisierte Anträge, die der Gruppe signalisiert, ihren gewünschten Status realisieren helfen würden, waren kaum eingereicht mit Hilfe eines Grundsatzdokuments der Ausländerbehörde sogleich entwertet.

3.Seit dem 4. September liegt der Innenbehörde ein namentlicher Antrag eines Mitglieds der Gruppe einschließlich Kopie seiner Identitätspapiere und somit der vollständigen Aufhebung seiner Anonymität vor. Dazu im Gegensatz wird von der Innenbehörde wiederholt und regelmäßig die Mär von der Anonymität der Lampedusa Mitglieder herbeizitiert, nicht zuletzt um die Razzien gegen die Geflüchteten zu begründen.

Das Ziel der Gruppe ist demnach nicht ein Leben in Anonymität sondern in rechtlicher und gesellschaftlicher Anerkennung. Spätestens mit dem Beitritt zu ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, aber auch mit der sehr öffentlichen Mahnwache am Steindamm sollte dieses deutlich sein.

Hier nun der gekürzte transmitter Text, der vollständig in der November Ausgabe zu lesen sein wird:

"Die politische Forderung der Gruppe Lampedusa in Hamburg war allerdings nie darauf gerichtet, ihnen in Deutschland Asyl zu gewähren.
Umso erstaunlicher ist es, dass in den Verlautbarungen der Innenbehörde immer wieder von Asylanträgen die Rede ist, was dann auch von den Medien aufgegriffen wird.

1.Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen

Die politische Forderung der Gruppe war von Anfang an, ihnen eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach dem Aufenthaltsgesetz, und zwar nach § 23 AufenthG, zu gewähren.
In § 23 AufenthG ist den Landesbehörden die Möglichkeit eröffnet, die Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen für bestimmte Personengruppen generell anzuordnen, d.h. Kriterien festzulegen, die die Personengruppe umschreiben und Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Vorschrift wurde geschaffen, um Situationen gerecht zu werden, in denen die gleichen humanitären Gründe für ganze Gruppen von Personen vorliegen. Personen, auf die die in dieser Anordnung festgelegten Kriterien zu treffen, können dann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG beantragen.

Neben dieser Vorschrift gibt es aber auch andere Vorschriften im Aufenthaltsgesetz, die Grundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen sein können, insbesondere § 25 AufenthG.

Der Begriff der humanitären Gründe im Sinne des Aufenthaltsgesetzes ist nicht anders zu verstehen, als wir ihn auch im allgemeinen Sprachgebrauch verstehen: humanitäre Gründe sind Notlagen, in denen die Menschlichkeit es gebietet, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die humanitären Gründe, die bei allen Mitgliedern der Gruppe Lampedusa in Hamburg vorliegen und auf die sie sich mit ihrer politischen Forderung berufen, wurden schon oft ausgeführt und sollen hier noch einmal zusammengefasst werden:
Die Menschen haben ihre gesicherte Existenz in Libyen durch den Bombenkrieg der NATO verloren, sie flüchteten über das Mittelmeer nach Italien, in ein Land, das mit der Flüchtlings-aufnahme völlig überfordert ist, sie lebten dort rund zwei Jahre unter schlechtesten Bedingungen in den italienischen Aufnahmeeinrichtungen, die im Februar 2013 geschlossen wurden. Zwar wurden ihnen von den italienischen Behörden Aufenthaltserlaubnisse erteilt, das gesamte Verhalten der italienischen Behörden, insbesondere die Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnisse in einem per Dekret angeordneten Schnellverfahren, zeigt jedoch, dass diese Aufenthaltserlaubnisse nicht dazu dienten, tatsächlich angemessenen Flüchtlingsschutz zu gewähren, sondern die Betroffenen zu motivieren, in andere europäische Länder weiterzuwandern und sich in Italien so der Verantwortung zu entledigen. Die tatsächlichen Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Italien – gerade auch nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – sind katastrophal und ermöglichen kein menschenwürdiges Leben.

2.Die Position des Senats und der Innenbehörde

In den Hamburger Behörden scheint man trotz dieses Schicksals keine humanitären Notlage zu erkennen. Die Reaktion auf diese Forderungen war von Anfang an ein klares Nein. Es gebe keine Perspektive für die Mitglieder der Gruppe in Hamburg, ließ der Senat über die Presse mitteilen.

Im August 2013 gab es das erste und einzige Gespräch zwischen Vertreter/innen der Innenbehörde und Vertreter/innen der Gruppe Lampedusa in Hamburg. Dieses Gespräch ging über einen Austausch der konträren Positionen nicht hinaus. Von Seiten der Innenbehörde wurde insbesondere betont, dass man in Hamburg nicht von einem „Totalversagen“ des Flüchtlingsschutzes in Italien ausgehe.

Ab dann wurde mit den direkten Vertreter/innen der Gruppe nicht mehr gesprochen. Es gab allerdings weitere Gespräche zwischen der Nordkirche und dem Senat.
Im September wurde die Gruppe darüber informiert, dass im Zuge dieser Gespräche vereinbart wurde, dass zur Darlegung der humanitären Gründe beispielhafte anonymisierte Anträge eingereicht werden können. Diese Anträge sollten – so geht es aus einem Schreiben an die Rechtsanwält/innen ausdrücklich hervor - als Gesprächsgrundlage dienen.

Es wurden daraufhin drei Anträge eingereicht, die auf die auch in diesem Text beschriebenen humanitären Gründe gestützt waren.
Die Hoffnung, dass das Vorlegen dieser Gesprächsgrundlagen auch zu inhaltlichen Gesprächen führen wurde, wurde aber schnell zerschlagen. Wenige Tage, nachdem die Anträge eingereicht wurden, lag ein Papier der Grundsatzabteilung der Ausländerbehörde vor, aus dem hervorging, dass man keine Ansatzpunkte für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sehe. Damit waren die Gespräche, noch bevor sie begonnen hatten, schon wieder beendet.
Trotzdem ist von der Innenbehörde als Begründung für die Polizeikontrollen der letzten Tage zu hören, die „monatelangen Verhandlungen“ mit der Gruppe hätten zu keinem Erfolg geführt. Dazu ist zu sagen: mit den Vertreter/innen der Gruppe wurde überhaupt nicht verhandelt - die Argumente wurden und werden nur über die Presse ausgetauscht.

3.Die Diskussion um die Preisgabe der Identitäten

Im weiteren Verlauf drehte sich die öffentliche Argumentation des Senats in der Presse hauptsächlich darum, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis daran scheitere, dass die Mitglieder der Gruppe ihre Identitäten nicht offen legten.

Nachdem am 11. Oktober 2013 damit begonnen wurde, Flüchtlinge festzunehmen und einer ed-Behandlung zu unterziehen, verstieg sich Senator Neumann sogar dazu, diese Aktion als Wohltat für die Betroffenen zu verkaufen, die nun endlich dem geordneten aufenthaltsrechtlichen Verfahren zugeführt würden, da nur dieses ja zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führen könne.

An dieser Argumentation ist zwar eines richtig: selbstverständlich werden Aufenthaltserlaubnisse nicht anonym, sondern auf namentlichen Antrag erteilt.
Vor dem Hintergrund des bisherigen Diskussionsprozesses, in dem der Senat immer wieder klargemacht hat, dass Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt würden, ist sie trotzdem scheinheilig. Wenn das Ergebnis der vom Senat angekündigten Einzelfallprüfung ohnehin feststeht, dann können die Erfassungen der Identitäten und ed-Behandlungen daher nur dazu dienen, die Abschiebung der Betroffenen vorzubereiten.

Die Diskussion um die Preisgabe der Identitäten lenkt ab von der eigentlichen Frage: ist Hamburg bereit, die Schicksale der Betroffenen als humanitäre Gründe zu akzeptieren und entsprechende Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen?
Um diese Frage, nicht um Verfahrensfragen, muss es in der politischen Auseinandersetzung gehen. Aus diesem Grund hat sich die Gruppe entschieden, sich nicht alleine auf das in dem Gespräche mit der Nordkirche vereinbarte anonymisierte Verfahren zu verlassen, sondern hat bereits am 4. September 2013 einen namentlichen Antrag unter Angabe der Identität des Antragstellers und Vorlage von Kopien seiner Identitätspapiere gestellt.
Die Reaktion der Ausländerbehörde auf diesen Antrag war Verwunderung: In einem Schreiben an die Rechtsanwält/innen wurde ausdrücklich nachgefragt, ob tatsächlich ein förmliches Antragsverfahren gewünscht sei. Dies haben wir bestätigt und um Bescheidung des Antrages gebeten – was bisher noch nicht geschehen ist.

Die Forderung an die Innenbehörde ist daher, zur inhaltlichen Auseinandersetzung um die eigentlichen humanitären Gründe zurückzukehren. Anstatt weiterhin repressiv mit Kontrollen gegen die Gruppe vorzugehen, sollte die Ausländerbehörde über den bereits seit September vorliegenden Antrag entscheiden. Daneben sollte sie, statt die Betroffenen durch Polizeikontrollen in Hunderte von Einzelverfahren zu zwingen, durch eine Anordnung nach § 23 AufenthG deutlich machen, nach welchen Kriterien sie bereit ist, Aufenthaltserlaubnisse für die Mitglieder der Gruppe zu erteilen. Eine positive Entscheidung in der Sache ist das einzige Signal, das glaubhaft machen kann, ob Hamburg tatsächlich gewillt ist, eine Lösung zu finden."
(Stand: 20.10.2013)

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