In Nachbereitung der Hamburger Ereignisse und in Vorbereitung auf weitere deutsche Jahrestage ...

... ergreifen wir hier einen Text von Café Morgenland aus jenem Jahr 1999, um ihn zu rezitieren:

"Die Einsamkeit am Ende des Jahrhunderts

" „Der Verrat, der Zerfall und das Chaos unseres Landes, die schwere Situation,in die unser Volk geworfen ist, der Krieg in Bosnien-Herzegovina, das Ausrotten des serbischen Volkes und meine eigene Krankheit haben mein weiteres Leben sinnlos gemacht, und deswegen habe ich beschlossen, mich zu befreien von der Krankheit, und insbesondere von den Leiden wegen des Untergangs des Landes, um meinen erschöpften Organismus, der das alles nicht mehr aushielt, sich erholen zu lassen.“ (aus den Abschiedsbrief des ehemaligen Partisanen Slobodan Nikolic; er beging am 8. Oktober 1992 Selbstmord)

Die Mahnwache
Der Angriffskrieg gegen Jugoslawien durch die inzwischen eingedeutschte NATO stellt für uns eine Zäsur dar. Nicht nur, weil er Tausenden Menschen das Leben gekostet hat (in der Nachkriegszeit hat es dies des öfteren gegeben). Nicht nur, weil ein Land zugrunde gebombt wird (auch das hat es bereits gegeben), sondern weil zum ersten Mal eine Bevölkerung von 11 Millionen, „Serben“ genannt, von einer Einheitsfront aus 19 Ländern, mit über 500 Millionen kriegswilliger Bevölkerung, ohne jeglichen Skrupel - im Gegenteil, mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit, allen voran die Deutschen - angegriffen wurde.
Schlimmer noch.

Eine weltweite Solidarität der Demokraten aller Couleur wurde sowohl quantitativ als auch qualitativ praktiziert: Nahezu alle Bevölkerungsschichten und Ideologien in nahezu allen Ländern, nahezu alle sog. radikal linken Persönlichkeiten weltweit, wetteiferten um öffentliche Aufforderungen, „die Serben“ zu bombardieren, während sie sich mit CNN-Bildern und anderen Rauschmitteln aufputschten.

Innerhalb von MigrantInnen-Zusammenhängen wurde das „Ja, aber ...“ - Prinzip praktiziert. Die verbale und praktische Parteinahme für die Angegriffenen blieb (bis auf wenige Ausnahmen) aus. Manche erheitern gar unbekümmert mit ihren Kanak-Attrapp-Shows (incl. Clownerie-Beilage und Barbetrieb) das Publikum in der Heimatfront sowie das deutsche (Kriegs)Feuilleton munter weiter. Andere MigrantInnen wiederum, die „stolz sind in einer Demokratie zu leben“ übernehmen bei den Grünen (dort, wo sie bisher nichts zu sagen hatten) die Drecksarbeit und rufen zu Intensivierung der Bombardierung Serbiens (= intensiverer Ermordung der serbischen Bevölkerung) auf.

Warum und wieso dies so ist, ist nicht mehr relevant. Praktiziert wurde bestenfalls eine Haltung der gleichen Abstände. „Politische Korrektheit?“. Angst davor, daß „das politische Image beschmutzt würde“? Oder einfach die Sehnsucht, endlich eins mit den Mördern zu werden? (höchster Grad der Integration).

Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte ist das Fehlen jeglicher Solidarität mit den Angegriffenen das prägende Element dieses Krieges, gar der treibende Faktor für die Intensivierung des Bombardements. Die totale Isolation der Opfer und deren Angehörigen, die totale Isolation der serbischen Bevölkerung hier und dort wurde von Beginn an ohne Abstriche beschlossen und umgesetzt.

Die NATO hat neben ihrer Überraschung über die „Stärkung des Milosevic-Regimes“ (laut NATO-Vokabular) bzw. die „Zerstörung der demokratischen/antiautoritären Opposition“ (laut linkem Vokabular) eine zweite erlebt: Nicht mal die kühnsten NATO-Strategen hatten eine solch massenhafte, gesicherte und beständige Befürwortung des Krieges bei ihren Bevölkerungen vorausgesetzt. Es ist daher keine Übertreibung, sondern naheliegend, davon auszugehen, daß erst dieser Umstand es ermöglichte, den 78. Tag zu erreichen.

Es war schließlich der entscheidende Faktor, der zu der erzwungenen Annahme des NATO-Diktats seitens der jugoslawischen Regierung geführt hat. Die wenigen Ausnahmen einzelner Personen (z.B. Peter Handke) und Bevölkerungsmehrheiten (z.B. in Griechenland) wurden ziemlich schnell verteufelt und als Verrückte, als Rassisten, als religiöse Fanatiker und Nationalisten (siehe dazu auch den Hetzartikel in der Jungle World von 5.5.99, S. 14) abgestempelt. Jeglicher Gedanke an Solidarität mußte ausgelöscht werden. Und wenn sich doch, unbeabsichtigt, die Angegriffenen („die Serben“) bei Demos oder Aktionen unter die „Kriegsgegner“ mischten, so führte dies zu erbitterten Auseinandersetzungen bis hin zu Schlägereien (wie am 1. Mai in Frankfurt zwischen deutschen Linksradikalen und Serben) und zu Aufforderungen (wie bei den Ostermärschen), sie sollen doch mit ihren serbischen Fahnen aus der deutschen „Antikriegsbewegung“ verschwinden.

„Am 18. April (4. Woche nach Kriegsbeginn) fand eine Blockade des britischen Luftwaffenstützpunktes Brüggen bei Mönchengladbach statt. Auf dem Sammelplatz vor Beginn der Aktion fanden sich etwa 100 Deutsche und ebenso viele Jugoslawen. Fast alle Jugoslawen trugen an ihrer Kleidung das „Target“-Zeichen. Eine deutsche Teilnehmerin verlangte erregt, daß das „Target“-Zeichen nicht getragen werden dürfe, es sei ein menschenverachtendes Symbol staatlicher serbischer Volksverhetzung und außerdem mit seiner Aufforderung zum Schießen dem Ziel der Friedensbewegung genau entgegengesetzt. Der Organisator solle dafür sorgen, daß das Zeichen verschwinde. (Aus einer Kritik von Prof. W. Kerntke, Mitorganisator der Aktion).

Nur so konnte das Geschäft mit dem Frieden reibungslos ablaufen. Nur so konnte sichergestellt werden, daß die Friedenskarriere keinen Fleck abkriegt (wenn wir schon dabei sind: wenn man/frau wissen will, wie die nächste PolitikerInnen-Generation aussieht, so genügt es, sich nur die Fratzen der Friedensbewegten zu merken; sie werden in einigen Jahren präsentiert, etwas älter zwar, aber mit dem gleichen haßerfüllten Friedens- und Dackelblick).

Entsprechend auch das Vokabular:
Für T. Ebermann ist Milosevic mit Tutschman gleich zu setzten. Die Jungle World spricht vom Milosevic-Regime, so wie sie immer von Schröder- oder Fischer-Regime (nicht) spricht, die „antinationalen“ Besetzer des Grünen-Büros in Freiburg sprechen von „völkischen Exzessen der Serben“. M. Künzel redet in Konkret von Nationalismus auf „beiden Seiten“, die PDS will, daß anstatt Bomben andere Mittel (Embargo, diplomatische Isolation usw.) gegen Milosevic angewandt werden, und J. Wertmüller redet von „Verfolgungswahn und Nationalismus der Serben“. J. Ditfurth kotzt in ihrem „offenen Brief an Fischer“ alle abgekauten NATO-Argumente gegen das „Belgrader Regime“ aus.

Und weltweit? Wir müssen inzwischen froh sein, wenn keineR mehr was sagt. Wir können das Schweigen von Subkommandanten Markos und ALLE anderen linken „Vorbilder“ eher ertragen als deren Redebeflissenheit. In Spanien (um nur ein Beispiel zu nennen) haben 600 Intellektuelle, die Creme de la creme der dortigen Gesellschaft, eine „Kriegs“-Erklärung abgegeben, indem sie Milosevic mit Netanjahu und Albaner mit den Palästinensern gleichsetzten (sie können es immer noch nicht lassen). Jede kriminelle Vereinigung, ob kleine (z.B. deutsche Kaninchenzüchterverein), große (z.B. deutsches Volk, Wirtschaftsverband, Regierung) oder soziale (z.B. Cosa Nostra) hat mehr SympathisantInnen und erfährt mehr Solidarität als die „verfluchten“ Serben, die - laut offiziellem linksdeutschen Jargon - ihre Verfolgung imaginieren! Jeder noch so extreme oder „exotische“ Zusammenhang findet mehr soziopolitisches, ökonomisches, mentales usw. Interesse, zwecks Erforschung, Analyse und Erklärung, als die serbische Bevölkerung mit ihrem Anliegen (immerhin geht es hier um die Ermordung ihrer Angehörigen und um die Bombardierung ihrer Städte und Häuser).

Seit dem 24.03.99 (1. Tag der Bombardierung Jugoslawiens) sammeln sich zwischen 20 und 23 Uhr vor dem amerikanischen Konsulat in Frankfurt 60 bis 100 SerbInnen zu einer Mahnwache. Abend für Abend, ohne Unterbrechung, den Beschimpfungen der PassantInnen („die NATO soll Euch alle vernichten!“), dem Unmut der AnwohnerInnen (Anzeige wegen Lärmbelästigung durchs Skandieren von Parolen) und der Willkür der deutschen Polizei ausgesetzt: „zwar sind grundsätzlich bei Versammlungen sich daraus zwangsläufig ergebende Lärmbeinträchtigungen in Kauf zu nehmen, dies kann aber nicht über einen so langen Zeitraum, insbesondere wenn kein Ende abzusehen ist, gelten“ (aus der Polizeiverfügung gegen die Mahnwache). Faszinierende Amtsdeutsch! Mit drei Zeilen wird alles wiedergegeben, was wir hier über mehrere Seiten nicht mal ansatzweise schaffen.

Mit serbischen Fahnen (nicht nur, eine griechische wird von den „nationalistischen“ Serben auch aufgestellt) und der Bilder ihrer ermordeten Landsleute und vor allem mit ihren Wut und Zorn. Am 71. Tag sind sie immer noch unter sich. Keine Quarantäne-Anordnung hätte solch eine Isolation bewirkt wie diese „Serben“-Stigmatisierung. Linke Gruppen, die wegen Mangels an Massen für ihre Demos ab und zu ihre Aufrufe an sie heranbringen wollen, übermitteln ihre Flugblätter über „Mittelsmänner und -frauen“: Denn es ist unangebracht dort mit Serben zusammen „erwischt“ zu werden. Wobei das Bedürfnis der TeilnehmerInnen mit jemandem zu reden, ihre bloße Existenz zu rechtfertigen, ihre Argumente gegen den Krieg hervorzubringen enorm groß ist.

Die Absurdität diese totalen Isolation äußert sich in der Tatsache, daß die einzigen, die überhaupt in ihrer Nähe sich befinden - und zwar jeden Tag - die deutschen Polizisten sind. Und sie reden mit den deutschen Polizisten! Sie erklären denen, daß sie ein Recht zum Leben haben, daß sie es sind, die angegriffen werden! Sie erklären die Geschichte ihres Landes, die Geschichte des Zusammenlebens der Völker in ehemaligen Jugoslawien.

So wie „Gastarbeiter“ halt in immer noch gebrochenem Deutsch solche Geschichten erzählen. Denn fast alle der älteren Anwesenden (und das sind die meisten mit ihren Familien) leben seit über 30 Jahren in Deutschland. Es ist die sog. erste Generation, die „Gastarbeiter“-Generation. Sie haben, wie sie selber in den Gesprächen zugeben, nach 30 Jahren Fließbandarbeit die Deutschen und deren Land entdeckt: „so bald der Krieg vorbei ist, hauen wir ab, es gibt keinen Platz mehr für uns hier“, „wenn wir in Serbien auf Deutsche Treffen, dann gibt es kein Pardon“. Solche und andere „Gewalttaten“ phantasieren sie in den abendlichen Stunden zwischen vorbeifahrenden Autos und Bullenwannen.

JedeR eine Geschichte: Das zerbombte Haus, die Frucht der Enkelkinder in Nis vor den NATO-Bomben, die Geschichte von der Nichte in Novi Sad, die als Ärztin jetzt entscheiden muß, welche der Kinder in der Intensivstation am Leben bleiben sollen und welche sterben müssen wg. fehlenden Stroms.
Sie erzählen von ihrer Tochter, die nicht nach Deutschland flüchten will, da ihre Arbeit in einer Pharma-Fabrik wg. Medikamenten-Knappheit lebenswichtig ist. Sie zeigen Fotos von ihren Neubauten (gebaut nach 30-jähriger Schufterei in Deutschland), die jetzt dank der Deutschen in Schutt und Asche liegen, und machen sich Gedanken darüber, wo sie ihre Ersparnisse unterbringen könnten, falls die Deutschen ihrer Gelder beschlagnahmen wollten! (dieser Gedanken sind nicht mal abwegig).

Andere erzählen von Hausdurchsuchungen durch die deutsche Polizei am ersten Tag der Bombardierungen. Leute, die sich 30 Jahre nichts „zuschulden“ kommen ließen, die 30 Jahre nichts mit der Polizei zu tun hatten, erzählen fassungslos über ihre erste Durchsuchung im Morgengrauen, weil sie Serben sind!
Sie erzählen von den Schikanen gegen ihre Kinder in der Schule, auch dann, wenn die Schulen „multikulturell“ sind, von der täglichen Anmache durch ihre KollegInnen am Arbeitsplatz (viele meldeten sich Krank, um diesem Terror zu entgehen).

71 Tage nach Beginn des Krieges äußern sich immer noch ihr Erstaunen über das Unbegreifliche. Sie rufen trotzig „Jugoslawien“ wohl wissend, daß damit längst vorbei ist.
Nach der erzwungenen Annahme des NATO-Diktats am 72.Tag, betretenes Schweigen und steinerne Gesichter. Für sie kommt es einer Okkupation gleich: „wieder unter deutsche Stiefel“ murmelt einer vor sich hin.

Eine ältere Serbin wendet sich an uns, will wissen ob wir in den Nachrichten erfahren haben, ob auch Rußland bei der „Friedenstruppe“ dabei sein wird, wir bejahen es, sie will weiter wissen, wie viele russische Soldaten aufgestellt werden; „wir haben von etwa 10.000 gehört“ sagen wir, „aber warum fragen Sie?“ Die Antwort durchbohrt das Ohr und bleibt ins Gehirn stecken: „wenn die Russen dabei sind, werden es die Deutschen schwer haben, uns in die Gaskammer zu schicken!“.

Es ist absolut irrelevant, ob die Angst übertrieben ist, ob die Assoziation hinkt. Es ist absolut irrelevant, jemandem, der so fühlt, irgend etwas zu erklären. Einzig relevant ist ihre konkret artikulierte Empfindung. Und sie schreit zum Himmel. Du überlegst, was kannst Du tun um diese Angst vor der patentierten deutschen Vernichtung zu relativieren, nicht verbal sondern praktisch. Und Du entdeckst die eigene Ohnmacht, weil du weder Geschichte noch historisches Bewußtsein tilgen kannst noch darfst. Andere wiederum erzählen...(kein Bock mehr all das wiederzugeben, jedeR kann sich das selber vorstellen oder auch sein lassen).

Was läuft hier ab? Nach solchen Erzählungen fangen wir an selber zu merken, daß auch wir nur einen Bruchteil dessen kapiert haben, was hier abgeht. Von einem Tag auf den anderen wird eine Minderheit verteufelt, zu Aussätzigen erklärt und das schlimmste: Bestenfalls interessiert dies kaum jemanden.
Und ALLE machen mit.
So entstand seit Beginn des Krieges (nur vorübergehend?) eine neue Konstellation in dieser Gesellschaft: Deutsche, Nichtdeutsche und Serben. Auch wenn die Gründe bei den Nichtdeutschen meistens andere als bei ihren deutschen „MitbürgerInnen“ sind, wurde eine verheerende Allianz zwischen Nichtdeutschen und Deutschen gegen „die Serben“ praktiziert mit unabsehbaren Folgen.

Es bleibt dabei: Wir kennen keinen Grund, etwas anderes zu tun, als an der Seite der Angegriffenen zu stehen – so gut, wie wir es können und so lange, wie es geht – und morgen oder übermorgen, wenn die Flüchtlinge aus den Klauen der Kriegsverbrecherorganisationen (Internationales Rotes Kreuz, UNO, UNICEF, OSZE, Cap Anamur, UNHCR, Malteser-Hilfsdienst und alle anderen), aus den Klauen der „deutschen Psychologinnen, die spezialisiert auf vergewaltigte Frauen sind“ (O-Ton: ZDF-Reportage über den Einsatz geschulten Psychologinnen in den Flüchtlingscamps) flüchten, unseren Platz an der Seite „der Albaner“, irgendwelcher „Albaner“, in ihrer „kriminellen“ oder „Schmarotzer-“ Variante einzunehmen.

„Die Bombardierung muß weitergehen“ befiehlt der Oberkommandie-render von Cap Anamur Rubert Neudeck.

Wir kennen keinen Grund, etwas anderes zu tun, uns heute schon darauf einzustellen, daß die nächsten Verbrechen, diesmal gegen die serbische Minderheit in Kosovo, vor der Tür stehen; uns darauf einzustellen, daß niemand auf der Welt das geringste Interesse an ihrer Existenz zeigen wird. Keine internationale Hilfsorganisation wird sich um sie kümmern. Es sind ja bloß Serben!

Uns auf die bereits angekündigten Androhungen der Fischers und Co. vorzubereiten, die verkündeten, unter welchen Bedingungen die serbische Bevölkerung in Jugoslawien nicht zum Hungertod verurteilt würde (wirtschaftshilfe gegen Kollaborateure-Regierung). Bis die „Entbalkanisierung“ des Denkens und Handelns ihren zivilisatorischen Abschluß findet.

Alles umsonst also?
Was übrig bleibt ist ein S(ch)erbenhaufen, in dem man/frau beim genauer Hinsehen ein paar zornige, zerrissene Sprüche entdeckt „Scheiß Columbus mit deiner verdammten Neugier“ oder „werdet ihr es bombardieren oder kann ich mit dem Streichen anfangen“ (geschrieben in einer Belgrader Hauswand) oder „Durch eine Bombe sterben, warum nicht? Blöd wäre es nur, zu sterben durch Glassplitter“ (Erklärung einer Serbin, warum sie ihre Fensterscheiben mit Band beklebt).

Was übrig bleibt, sind ein paar verblaßte Fotos von Menschen, die auf die Brücken von Donau, Drina und Morawa, Nacht für Nacht, zu „Kollatteralschäden“ umdefiniert wurden oder in Erwartung ihrer Angreifer auf Rock-Konzerten ihren unendlichen Trotz und Zorn aus der Seele tanzten.

Was übrig bleibt, ist diese widerspenstige Haltung, in der jegliches Kalkül von Taktik, Kompromiß, „eigentlich“, „politische Reife“ und Rechtfertigung des eigenen Tuns nur durch seine totale Abwesenheit bemerkbar gemacht wurde. In der die Tötungsandrohung der Angreifer niedriger bewertet wurde als die alltäglichen kleinen und großen Freuden des Lebens.

Was uns Angst macht ist nicht die Annahme, wir könnten falsch liegen, wir könnten an der Seite von Nationalisten und Rassisten stehen (was zu erhoffen wäre, denn das ist eine Frage der Einsicht der eigenen Fehler bzw. der eigenen Blindheit/Dummheit), sondern, ob es tatsächlich so ist, daß wir in einer Welt leben, in der das Verbrechen schon längst zum substanziellen Faktor der Gesellschaftserhaltung geworden ist, in der Die Anderen nichts mehr zu suchen haben, nirgends. In einer Welt, in der Du heute nicht weißt, welche Die Anderen morgen sein werden. Denn Du stehst längst außerhalb des Prozesses, der definiert, welche Die Anderen sind. Und ob diese Anderen leben dürfen, wie lange sie leben dürfen, und wie sie zu leben und zu sterben haben, wird durch dieser Prozeß der demokratischen Mehrheitsbildung, gemäß ihrer Definitionsmacht über Menschenrechte, Nationalismus und Eßgewohnheiten bestimmt.

Wenn wir schon diese Welt nicht verändern können, dann müssen wir sie kaputt machen!

Café Morgenland, Frankfurt den 09.06.1999 "

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